FS24-RGK: Forschungsbericht R. Perschke
Im Rahmen des RGK-Forschungsstipendiums 2024 war es erstmals möglich, umfängliche Archivrecherchen zu der so genannten „Museumskartei“ des Referats „Vorgeschichte und Archäologie“ beim militärischen Kunstschutz in Paris (und sukzessive in Brüssel) zu unternehmen[1].
Diese Kartei besteht aus 316 maschinengeschriebenen, formularähnlichen Karten im Format DinA4, welche im Archiv der RGK in Frankfurt/Main aufbewahrt werden (Abb. 1). Die Existenz der Museumskartei wurde in den Abschlussberichten der Kunstschutz-Dienstzeiten von Eduard Neuffer (1940-1942) und Hans Möbius (1942-1944) genannt. Daher kommt keine Forschungsarbeit zum Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ ohne die Erwähnung der Kartei aus[2]. Umso erstaunlicher ist es, dass sie bislang nicht näher untersucht, wissenschaftshistorisch ausgewertet und in einen größeren Kontext eingebettet wurde[3].
Abb. 1 – Der Bestand „Museumskartei“ im Archiv der RGK, ohne Bestandsnummer. ©
Immerhin entstand diese Kartei an einem für die französische Museumslandschaft äußerst sensiblen Zeitpunkt: während des deutschen Eroberungsfeldzuges im Sommer 1940 waren in Nordfrankreich Dutzende Museen ganz oder teilweise ausgebrannt, die Gebäude eingestürzt, Objekte von Wehrmachtstruppen oder Pionierstäben gestohlen worden, viele Kuratorinnen und Kuratoren waren kurzfristig geflohen. In den nächsten Jahren wurde unter Besatzungsbedingungen die Evakuierung von Beständen vorgenommen, neue Museumsleitungen eingesetzt sowie ein neues Denkmalschutz- und Museumsgesetz verabschiedet. Zum Ende der Besatzungszeit erfolgte somit ein grundlegender Schnitt in der Organisation der französischen Museen, in der Ausbildung und Einsetzung des leitenden Personals sowie in der Restaurierung und Wiedererlangung (bzw. dem Verlust) der evakuierten Sammlungen[4]. Die Museumskartei des deutschen Kunstschutzes bildet (zusammen mit den begleitenden Kunstschutzakten) genau diesen Horizont der großen Verluste sowie der Neuorganisation ab[5]. Eine Einordnung der Entstehung in die historischen Zusammenhänge war damit überfällig. Die aktuellen Recherchen schließen diese Lücke und sollen demnächst in einer längeren Abhandlung in den Berichten der RGK publiziert werden.
Auswertung der Quellen
Als vor zwei Jahrzehnten die wissenschaftshistorische Aufarbeitung von Archäologie und Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg erstmals im größeren Maßstab begann, waren die Archive noch nicht so zugänglich wie im internetgestützten Recherchezeitalter von heute. Anja Heuss gab in ihrer bahnbrechenden Studie zu „Kunst- und Kulturgutraub“ im Jahr 2000 noch an, dass die Akten des Kunstschutzes beim Oberkommando der Wehrmacht in Paris fast vollständig verloren gegangen seien[6]. Siegmar von Schnurbein beklagte 2001, dass die im Jahr 1941 für den Kunstschutz in Belgien angefertigten Luftbildaufnahmen der Oppida sowie des Straßennetzes um Bavai verschollen seien sowie dass in Bezug auf die Museumskartei nicht zu ermitteln sei, wer außer Wilhelm Schleiermacher, Wolfgang Kimmig und Joachim Werner daran mitgearbeitet habe[7].
Inzwischen können nicht nur durch die Rückkehr der jahrzehntelang in die USA verlagerten Bestände des Berlin Document Center in das Bundesarchiv viel weitergehende Recherchen durchgeführt werden, sondern auch durch die Verschlagwortung von Archivbeständen im DAI, der RGK sowie in der Médiathèque du Patrimoine und den Archives Nationales in Paris Verknüpfungen von ehemals zusammengehörigen Beständen wiederhergestellt werden. In Frankreich sind die dort erhaltenen Kunstschutz-Akten von 1940 bis 1944 nun frei zugänglich. Dies ist insbesondere interessant, weil dort nicht nur eine wortgleiche Abschrift der Museumskartei aus dem RGK-Archiv aufbewahrt wird, sondern auch ein Teil der die Entstehung begleitenden Briefe, Vermerke und Abrechnungen des Referats „Vorgeschichte und Archäologie“[8]. Ebenso befinden sich in den Pariser Akten die verloren geglaubten Luftbilder der Oppida und der Umgebung von Bavai (Abb. 2-3). Die durch das Stipendium ermöglichte Zusammenführung der Akteninhalte erfüllt somit ein jahrzehntelanges Desiderat.
Abb. 2 – Luftbild aus dem belgischen Kunstschutz-Projekt zum römischen Straßennetz von Bavai (Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 7) und Abb. 3 – Beschriftung des Luftbildes mit genauen Angaben (Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 7)
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Entstehung und Inhalt der Museumskartei
Das Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ wurde beim militärischen Kunstschutz in Paris gegründet, da aus dem deutschen Überfall auf Frankreich im Sommer 1940 Zerstörungen von Sammlungen bekannt geworden waren[9]. Beispielsweise hatte der französische Archäologe Georges Chenet einen Hilferuf an die RGK geschrieben, dass seine wissenschaftlich beachtliche Sammlung von gallo-römischer Keramik bereits im Ersten Weltkrieg teilweise geraubt worden war und nun durch (deutsche) Bombentreffer im Juni 1940 weitere Teile der Sammlung sowie die dazugehörige Grabungsdokumentation vernichtet worden war[10]. Er bat um Unterstützung bei der Sicherung der wenigen erhaltenen archäologischen Objekte, welche das eingeschaltete DAI über das Oberste Heereskommando auch bereitstellen konnte[11].
Als zukünftiger Referatsleiter „Vorgeschichte und Archäologie“ erreichte OKVR[12] Eduard Neuffer (abgeordnet vom Rheinischen Landesmuseum Bonn) am 2. Dezember 1940 den militärischen Kunstschutz in Paris. Von Januar bis Februar 1941 wurde seine Arbeitsgruppe durch die Ankunft von Joachim Werner (von der RGK), Wolfgang Kimmig (vom Landesmuseum Trier), Wilhelm Schleiermacher (von der RGK) und Hanns-Ulrich von Schoenebeck (Vertreter der Klassischen Archäologie) ergänzt. In dieser Konstellation war das Referat dafür zuständig, „1. Schutzmaßnahmen bezüglich der öffentlichen und privaten Sammlungen durchzuführen und laufend zu beaufsichtigen; 2. für die Erhaltung der ortsfesten Denkmäler und etwa neu zu Tage kommender Bodenfunde zu sorgen; 3. die Voraussetzungen für die wissenschaftliche Arbeit deutscher Vor- und Frühgeschichtler und Archäologen im besetzten Frankreich zu schaffen“ [13].
Die Karteikarten waren nach einem einheitlichen Muster mit vor Ort auszufüllenden Feldern angelegt. Vor Ort wurde dann jeweils ausgefüllt, unter anderem praktische Angaben wie Adresse, Name des Kurators/der Kuratorin, Öffnungszeiten, Stichworte zu den Sammlungsbeständen (und insbesondere zu den für die Deutschen interessanten Objekten) sowie den Stand der Zerstörung oder der Evakuierung von Objekten. Einige Sammlungsleiter gaben an, dass einzelne Objekte wie merowingische Fibeln oder numismatisch wertvolle Münzen von Wehrmachtseinheiten während der Eroberung gestohlen worden seien[14].
Für die Anlegung der Kartei fuhren die jungen Kunstschutz-Referenten mit von der Wehrmacht gestellten Autos[15] durch Nordfrankreich und Belgien, besuchten die Museen und Privatsammlungen, befragten die Kuratorinnen und Kuratoren und verzeichneten für jede Sammlung, ob sich für die deutsche Wissenschaft interessante Objekte darin befanden. Die Kartei wurde zuerst handschriftlich jeweils vor Ort ausgefüllt (Abb. 4). Im Winter und Frühjahr 1942 wurden die Karteikarten aufgrund eines Angebots von Wilhelm Schleiermacher (zu dieser Zeit an der RGK) dann in mehreren Sendungen an die Dienststelle in Frankfurt/Main geschickt, wo Mitarbeiterinnen sie abtippten und eine Version der Reinschrift nach Paris zurücksandten[16]. So kam es zur doppelten Veraktung in beiden Archivbeständen. Diese aktive Involvierung von RGK-Mitarbeiterinnen und –Ressourcen in die Arbeit des Kunstschutzes in Paris war bislang nicht bekannt und kam während dieser Recherche das erste Mal ans Tageslicht.
Abb. 4 – Vorderseite der noch nicht abgetippten Karteikarte zum „Musée lapidaire et Musée local“ von Provins (Dép. Seine-et-Marne) aus dem Bestand „Museumskartei“ in den Archives Nationales, Paris (Bestand AJ 40/574, unpaginiert). ©
Neben den 316 bekannten Karteikarten zu nordfranzösischen Museen befinden sich in Paris weitere Karteikarten, welche während der Recherchereisen von Joachim Werner nach seiner Versetzung zum Kunstschutz in Brüssel entstanden (von April bis Dezember 1941)[17]. Mit den gleichen Zielen wie in Frankreich wurden so auch die belgischen Museen und Privatsammlungen bereist. Ähnlich wie Eduard Neuffer in Paris nahm auch Joachim Werner in Brüssel aktiv Anteil an der Entstehung der neuen Denkmalschutz- und Museumsgesetze, die während der deutschen Besatzung in Kraft traten[18]. Werner berichtete: „Von insgesamt 57 festgestellten öffentlichen und privaten Sammlungen, welche Bodenfunde enthalten, konnten 40 besucht werden. Vollständig erfasst wurden die Sammlungen der Departements Nord und Pas d/e Calais [sic!], während besonders im flämischen Teil Belgiens 17 Sammlungen noch der Aufnahme harren“[19].
Verwendung der Museumskartei
Dass die Arbeit im musealen und archäologischen Kunstschutz deutsch-nationalistisch geprägt und damit ideologisch im nationalsozialistischen Sinn war, wurde bereits in den o. g. Aufsätzen zum Referat nachdrücklich belegt. Joachim Werner selbst brachte es bereits auf den Punkt: „Die Bedeutung des heutigen belgischen Staatsgebietes für die romanisch-germanische Auseinandersetzung und die germanische Landnahme in frühgeschichtlicher Zeit isz [sic!] anerkannte Tatsache. Ohne die Bodenfunde Belgiens ist, wie die neue deutsche Forschung gezeigt hat, ein Studium der verwickelten Bevölkerungsverhältnisse an unserer westlichen Volksgrenze nicht denkbar. Die deutsche Wissenschaft ist daher in hohem Masse daran interessiert, dass die in dem dicht besiedelten Land reich anfallenden Bodenfunde nicht verloren gehen sondern durch eine geregelte Denkmalpflege erfasst und in den Museen des Landes gesammelt und zugänglich gemacht werden“[20], ergänzt durch: „Der Referent [Werner, d. Verf.] hat neben seinen als vordringlich betriebenen Verwaltungsaufgaben, eingedenk dieser Tradition, die germanischen Bodenfunde des 4. bis 5. Jahrhunderts in Belgien und Nordfrankreich systematisch aufgenommen und gedenkt, durch ihre wissenschaftliche Vorlage seinen Beitrag zum Studium der germanisch-romanischen Auseinandersetzung im nordfranzösisch-belgischen Raum zu leisten“[21].
Die Museumskartei wurde demnach gezielt erstellt, um einerseits überhaupt einen Überblick über die vorhandenen Museen und Sammlungen insbesondere auf dem Land und in Privatbesitz zu erhalten, um diesen dann ggf. zu sichern und Sammlungen ganz oder teilweise „evakuieren“ zu lassen, die Objekte dabei aber auch für wissenschaftliche Untersuchungen im Sinne der deutschen Archäologie zu sichten[22]. Wolfgang Kimmig, Wilhelm Schleiermacher und Joachim Werner verdanken einige ihrer Nachkriegspublikationen und –erfolge denjenigen Aufzeichnungen, welche sie im besetzten Frankreich und Belgien während der Anlage der Museumskarteien notiert hatten[23].
Aus der Übersicht über die nordfranzösischen Museen auf den Karteikarten planten Wolfgang Kimmig und Joachim Werner zudem bereits während des Krieges einen „Führer durch die vorgeschichtlichen Sammlungen des besetzten Frankreich“ zu schreiben, welcher allerdings aufgrund der Versetzungen 1942 nicht mehr fertig gestellt wurde[24].
Sowohl in den französischen wie auch den belgischen Museen sollten Ermittlungen nach deutschen Bodenfunden angestellt werden, um diese Funde ins Deutsche Reich „zurückzuführen“[25]. Einzelne Objekte wurden auch identifiziert, aber aufgrund des Kriegsverlaufs wurde dieser Strang nicht weiterverfolgt. Eine andere Geschichte betrifft die praktische Auswertung der Museumskartei, als „infolge des Ausbaus des Atlantikwalles die in der Nähe des Meeres gelegenen Museen geräumt werden mussten. Die französischen Behörden, welche die Räumung durchführten, konnten dabei auf vorgeschichtliche Sammlungen aufmerksam gemacht werden, die ihnen sonst entgangen wären“[26]. Was sich auf den ersten Blick als besonnene Maßnahme anhört, hatte für die betroffenen Museen teilweise schwerwiegende Folgen, da durch die neu eingeführten Denkmalschutzgesetze („Loi Carcopino“) den Provinzmuseen viele Rechte entzogen wurden und nicht alle Sammlungen in ihr Ursprungsmuseum zurückgeführt, sondern teilweise zentralisiert in die großen Städte gebracht wurden. Gegen diese Teile des (unter Beteiligung des deutschen Kunstschutzes entstandenen)[27] neuen Denkmalschutzgesetzes wurde von den Provinzmuseen erheblich protestiert – teilweise umsonst, aber in einigen Fällen auch erfolgreich.
So triumphiert der Vorsitzende der Société Polymathique du Morbihan, die seit fast 200 Jahren das Museum von Vannes (dép. Morbihan) mit einmaligen megalithischen Kleinfunden behütet, nach der Befreiung der Bretagne: „Pendant cette période troublée, votre bureau a eu particulièrement à détendre les intérêts de notre Compagnie. Contre l’autorité allemande d’abord, qui prétendait nous interdire toute activité. Non sans peine, nous avons eu gain de cause. Puis est arrivée une mission de fonctionnaires allemands des Beaux-Arts, munie d’appareils photographiques et de boîtes à couleurs. Ils ont travaillé plusieurs jours, sous notre surveillance, n’ont rien emporté, ont beaucoup admiré et ont laissé un don ! c’était un succès. Le plus dur a été la lutte contre les Beaux-Arts français qui prétendaient évacuer nos collections. Nous avons lutté et triomphé. La guerre finie, nous vous présentons notre bilan : Musée au complet, bâtiments intacts, nombreux dons, séances bien remplies. Mesdames et Messieurs, un petit bravo pour votre bureau !“[28].
Abb. 5 – Besucherbuch der Société Polymathique du Morbihan mit mehreren Unterschriften deutscher Soldaten. Unten die Zeichnung von Wolfgang Kimmig als KVR, also in offizieller Funktion. Interessanterweise gibt Kimmig nicht den Kunstschutz, sondern das Museum Trier als Institution an (Foto: R. Perschke, Archiv SPM, Vannes mit freundlicher Erlaubnis). ©
Mit den „deutschen Beamten der Schönen Künste“ (s. o.) waren die Kunstschutz-Beamten gemeint, deren Besuch am 26. Mai 1941 im Museum von Vannes durch Wolfgang Kimmigs eigenhändige Unterschrift im „Goldenen Buch“ dokumentiert ist (Abb. 5). Kimmig verfasste dabei vermutlich auch die entsprechende Karteikarte[29].
Dieses eindringliche Beispiel aus dem Blickwinkel eines betroffenen Museums zeigt die Sorgen, die durch den deutschen Kunstschutz über die Provinzmuseen kamen – während der Kunstschutz selbst sich als Beschützer und Retter der Bestände stilisierte. Immerhin wurden die Arbeiten des Referats „Vorgeschichte und Archäologie“ nicht im Geheimen durchgeführt, sondern durchaus öffentlich präsentiert und kommentiert, beispielsweise in Zeitungsartikeln wie „Belgiens Bodenaltertümer – Stand der Vorgeschichtsforschung in Flandern und Wallonien“ von Kurt Tackenberg in der Brüsseler Zeitung am 15. September 1942[30]. Er schreibt: „Nach dem [Ersten, d. Verf.] Weltkrieg setzte in Deutschland verstärkt die Neigung ein, sich mit der Geschichte des eigenen Landes, der Heimat auseinanderzusetzen und damit im Zusammenhang die vorgeschichtlichen Bodenaltertümer als Geschichtsquellen in den Kreis der Betrachtung zu ziehen. […] Die damaligen staatlichen Stellen verhielten sich der neuen Richtung gegenüber zurückhaltend und waren nur schwer dazu zu bewegen, Mittel für das Fach der Vorgeschichte auszuwerfen. Hier wurde erst Wandel geschaffen, als der Nationalsozialismus 1933 die Führung übernahm. […] In manchen Ländern dagegen ist seit dem Weltkrieg die Entwicklung ausgeblieben. Zu ihnen sind Frankreich und Belgien zu zählen. […] Museen, in denen Altertümer aufgenommen worden sind, gibt es in Belgien in großer Anzahl. Eine schnelle Orientierung darüber ermöglicht der Museumsführer von E. Rahir[31]. […] Was Menge und Wert der Funde anbelangt, steht das Cinquantenaire-Museum in Brüssel im Mittelpunkt. Es war im Begriff, eine Neuaufstellung der vorgeschichtlichen Abteilung durchzuführen, als der zweite Weltkrieg [sic!] ausbrach“[32].
Die Besuche der Museen wurden von Joachim Werner kritisch reflektiert und führten teilweise sogar zur Aufforderung an die Museumsleitungen, Änderungen in den Sammlungen oder der Beschriftung vorzunehmen. Werner informierte beispielsweise Professor Bertrand vom Museum Arel (Arlon, Prov. Luxemburg): „Ausdrücke wie ‚les assauts des barbars‘ und ‚l’approche des pillards‘ des ‚bandes germaniques‘ halte ich nicht für glücklich, zumal sie heute [1941, d.Verf.] sehr leicht mißverstanden werden können. Schließlich sind die Bauern aus der Umgebung von Arlon Abkömmliche dieser ‚pillards‘. Man hätte dann in der römischen Abteilung etwas von der ‚oppression de la civilisation gallo-belge par les Romains envahisseurs‘ lesen müssen. Vielleicht könnten Sie sich eine Abänderung der Beschriftung überlegen, die doch auch vor 1939 nicht recht am Platze waren“[33].
Bei zur Aufgabe des archäologischen Denkmalschutzes in Belgien durch Joachim Werner blieben im Dezember 1941 noch einige Aufgaben unerledigt, darunter zählt er an erster Stelle „Die Aufnahme der restlichen, vom Referenten nicht besuchten vorgeschichtlichen Museen und Privatsammlungen“[34].
Das Nachwirken der Museumskartei nach dem Krieg
Die Informationen aus dem Karteimaterial, aber auch aus ihren privaten Aufzeichnungen von den Reisen nutzten die Kunstschutz-Mitarbeiter während ihrer Nachkriegskarrieren in der deutschen Archäologie. Wolfgang Kimmig hatte in Südwestfrankreich neue Funde der Urnenfelderkultur entdeckt und arbeitete an erweiterten Verbreitungskarten, während Wilhelm Schleiermacher Belege für die Besiedlungsgeschichte Nordostfrankreichs gesammelt hatte[35]. Joachim Werner arbeitete an frühgeschichtlichen Befestigungen und Gräbern und publizierte später erfolgreich (und ideologisch untermauert) zu „Reihengräberzivilisationen“ der Germanen[36].
Allen drei Prähistorikern gelang es, Kontakte zu den zeitgenössischen französischen Fachkollegen in der Nachkriegszeit aufrechtzuerhalten und im internationalen Austausch zu ihren Fachgebieten zu bleiben.
Fazit
Bereits in diesem ersten Projektbericht wird deutlich, dass dank der internationalen Recherchen der Wissensstand um die Entstehung der Museumskartei, der an ihrer Erstellung beteiligten jungen Kunstschutz-Referenten sowie ihrer Auswirkungen ein erheblicher Fortschritt in kurzer Zeit im Gegensatz zum bisherigen Forschungsstand erzielt werden konnte. Die genauere Auswertung der aus Paris mitgebrachten Unterlagen sowie die Korrelierung mit den bereits bekannten RGK- und DAI-Beständen werden noch einige neue Informationen und Verbindungen extrapolieren lassen. Insbesondere die erstmals herausgearbeitete enge Verflechtung der heimatlichen RGK mit ihren zum Kunstschutz in Paris entsandten Mitarbeitern (z. B. beim Abtippen der Karteibögen), die Wiederauffindung der belgischen Luftbilder sowie das Einbringen des Blickwinkels der betroffenen Museen lassen weitere für die Wissenschaftsgeschichte interessante Ergebnisse erwarten. Die Publikation in den Berichten der RGK ist für 2026 geplant.
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Reena Perschke
ORCID: 0000-0002-5840-7853
DAI Forschungsstipendium 2024
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Literaturverzeichnis
Fehr 2013 Hubert Fehr, Das Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ des militärischen Kunstschutzes in Belgien und Frankreich, in: Jürgen Kunow, Thomas Otten, Jan Bemmann (Hrsg.), Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920–1945 (Bonn 2013), 401–410.
Fischer 2002 Franz Fischer, Wolfgang Kimmig – Leben und Lebenswerk (Stuttgart 2002), 11-12.
Gaudron 1950 Guy Gaudron, Georges Chenet (13 juin 1881 – 31 mai 1951). Gallia, t. 8 (1950), 107.
Haendschke 2022 Susanne Haendschke, Eduard Neuffer und das Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ des militärischen Kunstschutzes in Paris (1940-1942), in: Esther Heyer (Hrsg.), „Als künstlerisch wertvoll unter militärischem Schutz!“ – Ein archivisches Sachinventar zum militärischen Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg (2022), 377-390.
Koechlin-Schwartz 1945 Jean-Léonard Koechlin-Schwartz, Allocution du Président, procès-verbal de la 1078e séance du 14 juin 1945, Bulletin de la Société Polymathique du Morbihan, (1945), 97.
Möbius 2001 Hans Möbius, Das Referat „Vorgeschichte und Archäologie“ in der Militärverwaltung Frankreich, Schlussbericht über die Tätigkeit 1940–1944 (Archiv RGK Nr. 212, Bl. 115–124). BerRGK, Bd. 82 (2001), 474–483.
Olivier 1998 Laurent Olivier, L’archéologie française et le régime de Vichy (1940-1944). European Journal of Archaeology (1998), 241-264.
Olivier 2007 Laurent Olivier, Une „ambassade de l’archéologie allemande en France“: le bureau „Préhistoire et archéologie“ du Kunstschutz (1940–1944), in: Jean-Pierre Legendre, Laurent Olivier, Bernadette Schnitzler (Hrsg.), L’archéologie nazie en Europe de l’Ouest (Paris 2007), 145–162.
Perschke 2014 Reena Perschke, Ausgrabungen und Zerstörungen an den Megalithen von Carnac während der deutschen Besatzung der Bretagne (1940 – 1944), Archäologische Informationen 37 (2014), 81-152.
Perschke in Druck Reena Perschke, Nationalsozialistische Archäologie im besetzten Frankreich (1940–1944): Die archäologische Museumskartei des Kunstschutzes in Paris, in: Svend Hansen, Christian Jansen (Hrsg.), Archäologie und Krieg. DAI – Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte, Bd. 28 (in Druck).
Schnurbein 2001 Siegmar von Schnurbein, Abriß der Entwicklung der Römisch-Germanischen Kommission unter den einzelnen Direktoren von 1911–2002, Ber. RGK, Bd. 82 (2001), 137–290.
Werner 1950 Joachim Werner: Zur Entstehung der Reihengräberzivilisationen. Archaeologia Geographica 1 (1950), 23-32.
[1] Ich danke der Römisch-Germanischen Kommission sowie der Auswahlkommission von ganzem Herzen für das gewährte Forschungsstipendium 2024, welches nicht nur Recherchen in Deutschland (RGK und DAI), sondern auch an den Archives Nationales in Paris ermöglichte.
[2] Schnurbein 2001, 224-226; Olivier 2007, 145–162; Fehr 2013, 401-410; Haendschke 2022, 380-383; usw.
[3] Die Verf. stellte die hierzu vorhandenen Möglichkeiten erstmals 2015 auf der DAI-Tagung „Archäologie und Krieg II“ in Halle/Saale vor. Die dazugehörige Publikation ist noch nicht erschienen (Perschke in Druck).
[4] Olivier 1998, 241-264.
[5] Perschke in Druck.
[6] Heuss 2000, 273.
[7] Schnurbein 2001, 223-226.
[8] Archives Nationales (Paris), insbesondere die Bestände AJ 40/16, AJ 40/573 und AJ 40/574.
[9] Zum Prozess der Einrichtung des archäologischen Kunstschutz-Referats in Paris siehe: Perschke 2014, 100-103.
[10] Gaudron 1950, 107.
[11] Schnurbein 2001, 220.
[12] OKVR – Oberkriegsverwaltungsrat, KVR – Kriegsverwaltungsrat
[13] Denkschrift vom 15. Januar 1941, zitiert in Möbius 2001, 475.
[14] Perschke in Druck.
[15] Die „Kraftwagen“ wurden durch die Wehrgeologenstelle 15 und das Landesschützenbataillon 736 zur Verfügung gestellt. Ein großes Problem bei den Reisen über Land zu den Museumsstandorten stellte zudem die Benzinknappheit in den besetzten Gebieten dar, die ebenfalls über die Wehrmacht geregelt wurde (Gesamtbericht zum Referat Vorgeschichte und Archäologie von Joachim Werner, Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, unpaginiert).
[16] Antwortschreiben von Neuffer an Schleiermacher vom 5. Februar 1942, Archiv RGK, Bestand Nr. 172, unpaginiert.
[17] Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, unpaginiert.
[18] Perschke 2014, 102-103.
[19] Werner 2001, 484-485.
[20] Joachim Werner, Denkschrift über die Organisation der belgischen Bodendenkmalpflege und Vorschläge für ihren Aufbau, ohne Datum [aber vermutlich aus seiner Dienstzeit in Belgien, 1941], Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 1, unpaginiert.
[21] Werner 2001, 484.
[22] Möbius 2001, 477.
[23] Schnurbein 2001, 223.
[24] Gesamtbericht zum Referat Vorgeschichte und Archäologie von Joachim Werner, Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, unpaginiert.
[25] Möbius 2001, 477-478.
[26] Möbius 2001, 478.
[27] Perschke 2014, 102-103.
[28] „In dieser unruhigen Zeit musste unser Vorstand besonders die Interessen unserer Gesellschaft vertreten. Zunächst gegenüber den deutschen Behörden, die uns jegliche Tätigkeit verbieten wollten. Nicht ohne Mühe haben wir uns durchgesetzt. Dann kam eine Delegation deutscher Beamter der Bildenden Künste [= Kunstschutz, d. Verf.], ausgerüstet mit Fotoapparaten und Farbkästen. Sie arbeiteten mehrere Tage unter unserer Aufsicht, nahmen nichts mit, bewunderten viel und hinterließen eine Spende! Es war ein Erfolg. Am schwierigsten war der Kampf gegen die französischen Bildenden Künste [das Kunstministerium in Paris], die unsere Sammlungen evakuieren wollten. Wir haben gekämpft und gesiegt. Nach Kriegsende präsentieren wir Ihnen unsere Bilanz: Museum vollständig, Gebäude intakt, zahlreiche Spenden und die Vereinstreffen gut besucht. Meine Damen und Herren, ein kleines Bravo für Ihren Vorstand!“ (Koechlin-Schwartz 1945, 97; Übersetzung durch Verf.).
[29] Perschke 2014, 102.
[30] Zeitungsausschnitt, Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 1, unpaginiert.
[31] Es gab also bereits eine Übersicht über die belgischen Museen, so dass die Arbeiten an der Museumskartei ausschließlich dem Interesse von Joachim Werner für seine germanozentrierte und ideologische Forschung diente.
[32] Zeitungsausschnitt, Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 1, unpaginiert.
[33] Schreiben Werner an Bertrand vom 27. August 1941, Archives Nationales, Bestand AJ 40/16, Mappe 2.
[34] Werner 2001, 488.
[35] Möbius 2001, 477.
[36] Werner 1950, 23-32.




