Themen & Visionen

Die Forschungen der Eurasien-Abteilung konzentrieren sich auf technische und soziale Innovationsprozesse und ihre Diffusion

 

Eurasien, die größte zusammenhängende Landmasse der Welt, ist ein Raum von historisch überragender Bedeutung, dessen Kommunikationsachse immer durch ost-west verlaufende Verkehrswege geprägt war. Hier entstanden die ersten Ackerbaukulturen und die ersten Staaten, hier prägten jedoch auch nomadische Kulturen über Jahrtausende die geschichtliche Dynamik. In vielen Aspekten ist Eurasien archäologisch jedoch noch immer eine terra incognita.

Gerade die Größe des Arbeitsgebiets eröffnet in besonderer Weise die Chance, die Dynamiken in der Wechselwirkung zwischen sozialen Prozessen bzw. Organisationsformen und technischen Innovationen in den Alten Kulturen des Doppelkontinents archäologisch zusammenhängend zu untersuchen. Das riesige Arbeitsgebiet bietet die besondere Chance, (prä)historische Prozesse in Raum und Zeit zusammenhängend zu erforschen. Dies ermöglicht die langfristige Untersuchung sich wandelnder Klima- und Umweltbedingungen und ihrer Folgen für die Gesellschaften.

Mit archäologischen Surveymethoden und Ausgrabungen können nur exemplarische Forschungsbeiträge geleistet werden. Mittel- und langfristige Forschungen in den Gastländern erlauben es jedoch, Grundlagen für den Aufbau chronologischer Abfolgen zu legen, die Dynamik von Siedlungskammern zu erforschen oder zur umfassenden Landschaftsrekonstruktion beizutragen. Bislang völlig unbekannte Kulturen konnten in den letzten Jahren erforscht und seit 150 Jahren sicher geglaubte historische Geographien umgeschrieben werden.

Wenngleich nicht alle, so hatten doch die meisten technischen und sozialen Umbrüche in der Prähistorie bzw. der Frühgeschichte Konsequenzen für große Teile Eurasiens. Gegenüber anderen Kontinenten ist es für die technischen Innovationen im eurasischen Raum kennzeichnend, dass sie durch einen relativ raschen Wissenstransfer über große Teile des Doppelkontinents verbreitet wurden. Dies hängt aber auch mit einer besonderen Form mobiler Lebensweise zusammen, die im späten 4. Jahrtausend v. Chr. in der Steppe entstand. Eurasien durchlief einen intensiven Ideen- und Technologieaustausch, durch den Fundamente für Technikentwicklungen gelegt wurden, die bis in das 19. Jahrhundert den Lebensalltag der Menschen prägten, und die erst durch die moderne Industrie ersetzt wurden.

Innovationen sind nicht auf handwerkliche Techniken oder Technologien begrenzt, sondern umfassen auch neue soziale Organisationsformen und Symbolsysteme. Der Innovationsbegriff ist somit nicht technizistisch verengt, sondern auch für die Beschreibung sozialer und religiöser Systeme tauglich. So vielfältig die theoretischen Perspektiven und methodischen Zugriffe kulturwissenschaftlich orientierter Technikgeschichte im Einzelnen auch sind, so treffen sie sich doch in der Einsicht, dass die Funktionsweise eines Gerätes nicht nur eine bloß technische ist, sondern eine soziale und symbolische Dimension besitzt. Techniken verweisen letztlich auf Denkformen. 

In der Forschung der Eurasien-Abteilung spielen technische und soziale Innovationsprozesse und ihre Diffusion eine grundlegende Bedeutung, sei es im Zuge der Ausbreitung der bäuerlichen Lebensweise (Aşagi Pinar, Aruchlo, 'Kura in Montion', Japan), der Verbreitung metallurgischen Wissens (Pietrele, Gonurdepe, ARCHCAUCASUS, Tel Tsaf, Baraba-Steppe/Tartas 1) oder des Wissenstransfers im Zuge der griechischen Kolonisation im nördlichen Schwarzmeerraum (Taman') und später der Hellenisierung des mittelasiatischen Ostens (Torbulok) sowie die Interaktion zwischen Steppe und staatlichen Zentren (Taman', Hortfunde Westgeorgien, Tappe Rivi, Gonur, Silk Road Fashion, Vojtenki). 

Ein hot spot der Forschung ist gegenwärtig die Frage des raschen Wissenstransfers im 4. Jahrtausend v. Chr., der in enger Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften erforscht wird (Bioarchäologie im Kaukasus, ARCHCAUCASUS).