Themen und
Visionen

Aktuelle Schwerpunkte der Forschung an der Abteilung Madrid sind Umweltveränderung und kultureller Wandel, Siedlung und Naturraum in historischer Tiefe, sowie Kulturkontakte und ihre Folgen.

Im Rahmen des Projektes Groundcheck konnte die historische Entwicklung der Landschaft im Umfeld der griechischen Siedlung Ampurias im Detail rekonstruiert werden © DAI, Virtus Magic // D. Baños

Umweltveränderung und kultureller Wandel

Zu den Herausforderungen der Archäologie gehört festzustellen, inwieweit die Umwelt und ihre Veränderungen das Leben der Menschen und die Kultur beeinflusst und inwieweit der Mensch Veränderungen der Umwelt provoziert hat.

Veränderungen des geographischen Lebensraumes und klimatischer Verhältnisse haben den Menschen im Laufe der Geschichte vor immer neue Herausforderungen gestellt und waren damit Anstoß für Innovationen, von der Erschließung neuer Siedlungs- und Wirtschaftsräume bis zur Entwicklung neuer Technologien. Klimatische Veränderungen werden immer wieder mit dem Untergang von Kulturen in Zusammenhang gebracht. Die bereits in den 1980er Jahren begonnenen geoarchäologischen Forschungen der Abteilung zum Wandel der mediterranen und atlantischen Meeresküsten der Iberischen Halbinsel, vor allem im Umfeld kolonialer Niederlassungen, bieten ein Archiv an Erfahrungen und Kenntnissen zu wechselseitigen Auswirkungen von Mensch und Umwelt. Den rapiden methodischen Entwicklungen und erweiterten Fragestellungen folgend bauen stets neue Projekte auf die soliden Fundamente der Forschungstradition auf. Das jüngste Beispiel ist das Projekt Ampurias-Groundcheck (seit 2020), das sich nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit der Gegenwart und der Zukunft beschäftigt.

Die chronologisch weitgefächerten Projekte der Abteilung bieten Fallbeispiele für die Untersuchung der Mensch-Umwelt-Beziehungen auf der Iberischen Halbinsel und in Marokko vom Neolithikum bis in die islamische Zeit. Für das 6.–3. Jahrtausend liefern Sizandro-Alcabrichel, Zambujal und Valencina de la Concepción die Anhaltspunkte, für das 9.–1. Jh. v. Chr. Los Castillejos de Alcorrín, Ayamonte, Mogador, Ampurias, Ullastret, für das 1.–4. Jh. n. Chr. Munigua und für das 12. Jh. n. Chr. Monteagudo. Es konnten heute verlandete Meeresbuchten nachgewiesen und Prozesse der Kolmatierung aufgeschlüsselt werden. Dort, wo die Archive es möglich machten – nur in seltenen Fällen ist die Erhaltung der ausschlaggebenden Proben gegeben –, konnten auch Anhaltspunkte für das Klima gewonnen werden.

Die Projekte der Abteilung Madrid im Tal des Guadalquivir eröffnen die Möglichkeit, die kulturelle Entwicklung der Region in ihrer historischen Tiefe in den Blick zu nehmen. Hier eine Kartierung von Fundplätzen vom Neolithikum bis in islamische Zeit © DAI // Elisa Puch

Siedlung und Naturraum in historischer Tiefe

Aufbauend auf langjährigen Studien zum Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie, aber auch zur Wirtschaft und Technologie antiker Kulturen der Iberischen Halbinsel, entwickelt sich die Untersuchung des Verhältnisses von Siedlung zu Naturraum zu einem neuen Forschungsschwerpunkt der Abteilung. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel stellt das Untere Guadalquivirtal dar, an dem untersucht wird, wie ein Naturraum mit seinen topographischen Verhältnissen, Umweltbedingungen und Ressourcen zu unterschiedlichen Zeiten genutzt worden ist und inwiefern diese Nutzungsweisen Rückschlüsse auf die jeweiligen Kulturen ermöglichen. Im Unteren Guadalquivirtal siedeln Menschen seit über fünf Jahrtausenden auf relativ engem Raum. In einigen Epochen kann von einem Ballungsraum gesprochen werden. Es bietet sich hier die Chance, Fragen zu seiner kulturellen Entwicklung in einer historischen Tiefe zu stellen: Welche Faktoren führen zu seiner Entstehung an der Schnittstelle zwischen Atlantik und Mittelmeer, zwischen Europa und Afrika? Wie war dieser Siedlungsraum über die Zeiten hinweg organisiert? Welche Faktoren führten zu einer Verlagerung der Siedlungszentren? Welche Folgen hatten die spezifischen Eigenschaften des Guadalquivirtales auf die kulturelle Entwicklung der gesamten Region? Wie weit reichte seine Ausstrahlung? Welches sind die treibenden Kräfte?

Übergreifende Forschungsfragen der Abteilung, werden hier durch Grabungen an drei bedeutenden Fundplätzen vertieft: Valencina de la Concepción, Munigua und Córdoba (Alcázar und Madinat al-Zahra).

Die Interaktion zwischen Phöniziern und Einheimischen stand im Fokus der Grabungen in Alcorrín de los Castillejos (Spanien). Muschelfußböden sind charakteristisch für repräsentative Bauten der Region © DAI // John Patterson

Kulturkontakte und ihre Folgen

Die Iberische Halbinsel ist durch ihre geographische Lage eine Schnittstelle zwischen Kontinenten und Meeren. Gleichzeitig liegt sie am Rand der alten Welt, wo sie die mittelmeerische Ost-West-Achse mit der atlantischen Nord-Süd-Achse verbindet. Seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte prägen überregionale Kontakte die lokalen Kulturentwicklungen, die ihrerseits Einflüsse auf nahe und ferne Kulturen ausüben. Die Identifikation solcher Kulturkontakte, die Untersuchung unterschiedlicher Formen der Interaktion, Rezeption und Adaptation, und die Bestimmung ihrer Folgen für die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Region stehen im Zentrum einer Reihe von Projekten der Abteilung. Ihre unterschiedlichen Zeitstellungen und ihre Verbreitung ergeben überregionale und diachrone Forschungsmöglichkeiten zu den Kulturkontakten.

Ihre besonders günstige Lage ermöglichte den Bewohnern von Valencina de la Concepción im 3. Jt. v. Chr. Zugang sowohl zu den nahe gelegenen Kupfererzen, als auch den im weiteren Umfeld befindlichen Ressourcen von Bergkristall und Silex, die vor Ort in Werkstätten verarbeitet wurden. Die Vermutung liegt nahe, dass eine Überschussproduktion von Metall zu einer wirtschaftlichen Prosperität von Valencina führte. In der Anhäufung von Exotika, wie Bernstein, Straußeneiern sowie afrikanischem und asiatischem Elfenbein in den Gräbern spiegeln sich außergewöhnliche Kontakte. Die Siedlung war damit in ein komplexes Netzwerk eingebunden, welches bis nach Nordafrika und dem Vorderen Orient reichte.

Besonders für Zeiten ohne eigene schriftliche Überlieferung ergeben Details der Grundlagenforschung Indizien für Kulturkontakte, so zum Beispiel zwischen Phöniziern und Einheimischen in Küstenregionen im Süden der Iberischen Halbinsel und Marokko ab dem 8. Jh. v. Chr. Die Untersuchungen in Los Castillejos de Alcorrín, Huelva, Ayamonte und Mogador belegen Verbindungen zwischen einzelnen Menschen und Gruppen unterschiedlicher Traditionen und Herkunft mit Einflusssphären, die von der iberischen und afrikanischen Atlantikküste bis zum Vorderen Orient reichten.

Unter islamischer Herrschaft war Córdoba ein Treffpunkt unterschiedlicher Kulturen – Juden, Christen und Muslime lebten hier Seite an Seite, Einwanderer aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika stießen auf ansässige Romanen und Nachfahren der Westgoten. Welche Einflüsse aus Syrien, Persien oder gar China lassen sich an der Entwicklung der materiellen Kultur Córdobas ausmachen, etwa in der Architektur, der Keramik und der Metallproduktion? Die Projekte in Madinat al-Zahra und dem Alcázar von Córdoba versprechen hier ganz neue Einblicke in den kulturellen Wandel zwischen Spätantike und Mittelalter und damit einen Beitrag zum Verständnis des Beitrags Córdobas zur Genese der europäischen Kultur zu liefern.

Aktuelle Schwerpunkte und Querschnittsthemen der Forschung an der Abteilung Madrid © DAI // Felix Arnold
Die Beziehung zwischen Umweltveränderungen und kultureller Entwicklung steht im Fokus der Forschung von Archäologen und Geographen im Umfeld von Ampurias © DAI, MAC Empúries // Pere Castanyer
Geophysikalische Prospektionen in Valencina de la Concepción führten zur Identifikation einer Folge von monumentalen Grabenwerken des 3. Jahrtausends v. Chr. Die Grabenwerke bezeugen nicht nur die Bedeutung des Fundplatzes innerhalb des Guadalquivirtales, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer Tradition solcher Monumentalwerke, die sich über das gesamte Westeuropa erstreckte © DAI // N. Ostermeier
Die Röntgenaufnahme gibt Einblick in den Inhalt einer Urne aus der phönizischen Nekropole von La Joya (Spanien). Bestatten wurden hier die Überreste eines Individuums aus der Zeit des Beginns der phönizischen Kolonisation des Westens © DAI // Diego Batanero
In Munigua (Spanien), im Hinterland des Guadalquivirtales, wurde ein Heiligtum nach dem Vorbild des Terrassenheiligtums in Praeneste (Italien) errichtet. Die Hintergründe für die Wahl gerade dieses Bautyps ist eine der Fragen eines Langfristprojektes der Abteilung Madrid © DAI // Doris Schäffler
Bei den Grabungen in Madinat al-Zahra wurden unter anderem Metallbeschläge eines Tores entdeckt. Darstellungen von Toren gleicher Art finden sich in den Beatus Handschriften, ein weiteres Beispiel transkultureller Interaktion auf der Iberischen Halbinsel © DAI // Felix Arnold