Die Totenstadt am Awam-Tempel - eine sabäische Nekropole in der Oase von Marib

Awam-Friedhof in der Oase von Marib. Blick auf die aus Stein gebauten Grabmausoleen der Areale D und E. © DAI, Außenstelle Sanaa // Johannes Kramer

Ergebnisse

Die Nekropole des Awam-Tempels verläuft als ein bis zu 100 m breites Band entlang der südlichen Hälfte der äußeren Tempelovalmauer und umfasst eine Fläche von ungefähr 1,7 ha. Die bisherigen Grabungen erlauben die Nutzung des Friedhofs zwischen dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. und dem 4. Jh. n. Chr. anzusetzen. Bei den Grabanlagen handelt es sich um oberirdische Mausoleen mit mehreren Stockwerken und klar voneinander getrennten Grablegen. Die durchweg aus Stein errichteten Bauten weisen abhängig von ihrer zeitlichen Einordnung und der sozialen Stellung ihrer Erbauer unterschiedliche Typen auf. Die Gräber wurden zumindest in den älteren Bebauungsphasen des Friedhofs (8. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) entlang westöstlich verlaufender, die Krümmung der Ovalmauer aufnehmender Straßenzüge angelegt. Erst im Laufe der Zeit löste sich diese Ordnung allmählich auf. Der Anbau jüngerer Grabbauten an die älteren Strukturen hatte eine Zusetzung kleinerer Gassen und eine Verdichtung der Architekturen zur Folge. Das ursprüngliche Straßensystem blieb allerdings in groben Zügen erhalten.

Den vermutlich in Hockerstellung Bestatteten wurde ein umfangreiches Repertoire an Beigaben mit ins Grab gegeben. Den Hauptanteil der Funde bilden miniaturisierte Gegenstände des alltäglichen Lebens wie Tongefäße, Metallgefäße und -geräte, steinerne Schminkgefäße oder auch mit dem Kult verbundene Opferplatten, die eigens für den Grabgebrauch angefertigt wurden. Weiterhin traten Terrakottafigurinen von Frauen und Dromedaren, Trachtzubehör und Schmuck wie Perlen und Ringe sowie normal dimensionierte Keramik zutage. Die Beziehungen Südarabiens zum altorientalischen und ab der Zeitenwende auch zum mediterranen Kulturkreis spiegeln sich in einigen Importen wider.

Die monumentalen Inschriften an den Außenfassaden der Gräber geben Auskunft über die Besitzer, ihre Familien bzw. Clans und deren Besitzanteile am Grab. Grabstelen mit in Nischen eingelassenen Alabasterköpfen als Abbild der Verstorbenen, die wohl an den Mauern der Gräber lehnten, und die an den Grabaußenwänden eingemeißelten Reliefköpfe lassen erahnen, wie wichtig den Sabäern die Personifizierung der Toten war, wobei eine nach unseren Maßstäben realistische Darstellung nicht angestrebt war. Die Identifikation gewährleistete zudem eine Namensinschrift auf den Stelen bzw. bei den Reliefs. Der weit über 1000 Jahre immer wieder belegte Friedhof hat nach einer vorsichtigen Hochrechnung insgesamt über 20.000 Bestattete aufgenommen.

Die Errichtung der Gräber, der Vorgang der Bestattung, die Belegung der Grabkammern oder auch die Durchführung des Totenkultes muss durch die Priesterschaft des Tempels streng organisiert und kontrolliert gewesen sein. Aufgrund der überregionalen Bedeutung des Awam-Heiligtums als Pilgerstätte kam auch dem Friedhof eine große Bedeutung als Begräbnisplatz zu.