Die Totenstadt am Awam-Tempel - eine sabäische Nekropole in der Oase von Marib

Awam-Friedhof in der Oase von Marib. Blick auf die aus Stein gebauten Grabmausoleen der Areale D und E. © DAI, Außenstelle Sanaa // Johannes Kramer

Raum & Zeit

Die Oase von Marib mit der gleichnamigen antiken Hauptstadt liegt im Zentrum der Arabischen Republik Jemen am südwestlichen Rand der Wüste Rub'al Khali und ist etwa 135 km von der modernen Hauptstadt Sanaa entfernt. Sie wird im Nordosten von den vulkanischen Ebenen al-Hashab, im Norden und Osten von der Sand- und Steinwüste Ramlat as Sab'atayn und im Süden und Südwesten von den Bergen Jabal Balaq al-Awsat und Jabal Balaq al-Qibli eingefasst. Das Wadi Dhana teilt die Landschaft in die Nord- und Südoase. Der Awam-Tempel liegt in der Nordoase ca. 4 km südöstlich der antiken Stadt Marib (ca. 1200 m ü. NN). Die Nekropole wiederum umgibt im südlichen Bereich die ovale Umfassungsmauer des Tempels.

Das Awam-Heiligtum und der angeschlossene Friedhof sind eng mit der Geschichte Sabas verknüpft. Neben dem in der Stadt Marib lokalisierten Harunum-Tempel war der ebenfalls dem sabäischen Hauptgott Almaqah geweihte Awam-Tempel, außerhalb der Stadt in der Oase von Marib gelegen, das vermutlich wichtigste sabäische Heiligtum. Sowohl im 1. Jt. v. Chr. als auch in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten besitzt es als zentrale Pilgerstätte überregionale Bedeutung. Nahezu über die gesamte polytheistische Periode Südarabiens waren Tempel und Nekropole in Betrieb. Die genaue Nutzungsdauer lässt sich allerdings vor allem aufgrund von Plünderungen im Friedhofsbereich archäologisch nur bedingt bestimmen. Die stark zerstörten Befunde machen eine genaue stratigraphische Beobachtung nahezu unmöglich. Stützt man sich auf das verfügbare epigraphische Material, so ergibt sich ein Zeitraum zwischen dem frühen 7. Jh. v. Chr. und der zweiten Hälfte des 4. Jh. n. Chr. Während das Ende des Heiligtums mit der Abwendung der südarabischen Oberschicht von den polytheistischen Kulten und der Einführung des Monotheismus in Südarabien sicher zu datieren ist, liegt der Beginn vermutlich deutlich früher als die epigraphischen Zeugnisse vermuten lassen. Alle bisher bekannten großen sabäischen Heiligtümer sind frühe Gründungen, später eingeführte Kulte mit dazugehörigen Sakralbauten sind in der Region nicht bekannt. Auch die von der American Foundation for the Study of Man (AFSM) durchgeführten Grabungen im Awam-Tempel belegen, dass der heute sichtbare Tempelbau mindestens einen Vorgängerbau besessen hat. Dieser kann wie etwa die frühen Phasen des Bar’an-Tempels in der Oase von Marib bis ins 10. Jh. v. Chr. zurückreichen. Dies würde dann sicherlich auch auf die Nekropole zutreffen, zumal die Keramikfunde einen solch frühen Zeitansatz stützen. Marib bleibt auch mit dem Verlust seiner einstigen politischen Macht in mittelsabäischer Zeit weiterhin ein wichtiges Zentrum der südarabischen Kulturen. In dieser Zeit findet sich eine große Anzahl an Weihgaben und Widmungsinschriften im Tempelareal, die nicht nur von lokalen Bewohnern der Oase niedergelegt wurden, sondern auch von Herrschern sowie Eliten der sabäischen und himyarischen Hochlandregionen. Dies belegt die anhaltende Bedeutung des Platzes als Pilgerheiligtum und Begräbnisstätte.