Tan'im – Eine eisenzeitliche Stadtanlage im Hochland des Khawlan

Fernsicht auf die Stadtanlage Tan'im von Nordwesten © DAI, Außenstelle Sanaa // Mike Schnelle

Ergebnisse

Die Untersuchungen der Außenstelle Sanaa begannen mit ausgedehnten Surveys im Khawlan ab 2009 und mit Grabungstätigkeiten in der Stadtanlage von Tan'im ab 2010. Aufgrund der gesamtpolitischen Lage mussten die Feldarbeiten nach dem Frühjahr 2011 eingestellt werden.

Khawlan Survey

In der ersten Phase des Surveys wurden über 60 Fundplätze kartiert, die chronologisch von der Bronzezeit bis in die Spätantike reichen. Es handelt sich überwiegend um Siedlungsplätze und Bewässerungsanlagen. Friedhöfe, einzelne Grabstätten und Felsinschriften waren nur in geringer Anzahl zu identifizieren.

Während ein Großteil der Fundplätze in die Eisenzeit datiert, gehören weniger als ein Drittel in die Bronzezeit. Bei letzteren handelt es sich überwiegend um kleine Siedlungsanlagen, vermutlich um  landwirtschaftliche Gehöfte, die sich meist aus nur ein bis drei Gebäuden zusammensetzten. Diese einfachen Bauten weisen in der Regel lediglich einen einzigen Raum auf. Der Grundriss ist oval gestaltet, die aus Bruchsteinen gefügten Fundamente lassen darauf schließen, dass das aufgehende Mauerwerk aus Holz und anderem organischen Material bestand. Neben der für das 3. und 2. Jt. v. Chr. typischen Keramik fanden sich nur wenige andere Objekte, darunter vor allem Steingeräte.

Zwei bronzezeitliche Fundplätze unterscheiden sich von den oben beschriebenen: Hierbei handelt es sich um regelrechte Dörfer, die ein Dutzend Häuser aufweisen. Diese stehen, wie für die Bronzezeit üblich, auf niedrigen, die Wadis überblickenden vulkanischen Anhöhen. Teilweise besitzen die Häuser mehrere Räume, wobei die Bauweise derjenigen der einfachen Gehöfte entspricht. Es konnte noch eine zweite Besiedlungsphase dokumentiert werden. Dabei handelt sich um rechteckige Bauten aus einem zweischaligem Mauerwerk mit mehreren Räumen. Bei einem der Dörfer ist darüber hinaus eine einfache Befestigungsanlage zu erkennen, deren Mauerring sich – soweit erhalten – um den gesamten Siedlungsplatz zieht.

Obwohl bisher keine 14C Datierungen vorliegen und eine eingehende Analyse der Keramik noch aussteht, scheint diese zweite Besiedlungsphase den Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit im jemenitischen Hochland zu markieren. Dieser fällt ins späte 2. bzw. frühe 1. Jt. v. Chr. Weitere Fundplätze, die eindeutig in die Eisenzeit datieren, weisen vergleichbare Keramik auf. Da sich diese Keramik deutlich von jener der Oasenkulturen der Wüstenrandgebiete unterscheidet, erlaubt sie den Schluss, dass es parallel zu den Hochkulturen am Wüstenrand unabhängige Entwicklungen im Hochland gab, und diese Region erst zur Mitte des 1. Jts. v. Chr. vollständig in den Hochkulturen des Wüstenrandgebietes aufging. Dieser Übergang  wird durch das epigraphische Fundmaterial aber auch durch weitere Fundobjekte wie Architekturdekor und Inventar der zahlreichen eisenzeitlichen Fundplätze bezeugt.

Die Stadtanlage von Tan'im

Tan'im bildet eines der wenigen antiken städtischen Zentren des Khawlan. Es liegt am Ende eines sich nach Westen weit öffnenden Wadis und am Fuße einer steil aufragenden vulkanischen Felsformation. Die Stadt erstreckt sich südlich des Wadi und wird von einer noch heute teilweise gut erhaltenen, über 1000 m langen und bis zu 3 m hohen Stadtmauer umgeben. In regelmäßigen Abständen reihen sich rechteckige Türme aneinander. Zur Konstruktion dieser Zweckbauten benutzte man vor Ort anstehendes Gestein, das vor dem Setzen nur grob bearbeitet wurde. Auffällig dabei ist, dass man - vermutlich um einen repräsentativen und monumentalen Gesamteindruck zu erreichen - in den zentralen Bereichen der Stadtmauer sowie an den Stadttoren großformatige Steine verwendete, während in den Außenbereichen der Mauer deutlich kleinere Formate verbaut sind. Konstruktion und Baustil enstprechen anderen Stadtmauern im Hochland und datieren vermutlich in die mittelsabäische Zeit.

Einen ganz anderen Eindruck vermittelt dagegen ein Monumentalgebäude, das zufällig bei Bauarbeiten entdeckt und teilweise freigelegt wurde. Sowohl der bisher erkennbare Grundriss, die Steinbearbeitung sowie der Architekturdekor sprechen für eine Anlage genuin sabäischer Prägung. Vermutlich handelt es sich um einen Tempel aus der 1. Hälfte des 1. Jt. v. Chr. Inschriften, die in der nahe gelegenen Moschee verbaut sind, stützen diese These. In einer dieser paläographisch in das 7. Jh. v. Chr. datierenden Inschrift wird ein Tempel des Almaqah, des höchsten sabäischen Gottes, genannt, der vermutlich mit dem Gebäude gleichzusetzen ist. Erhalten hat sich der Teil eines Podiums mit einer seitlich angesetzten Treppenanlage. Deren Wange weist typische Dekorelemente wie Zahnschnitt und Scheinfenster auf. In der näheren Umgebung fanden sich zudem Fragmente von Pfeilern, die es erlauben, den Bau mit einem Pfeilerpropylon zu rekonstruieren. Vor dem Podium verläuft eine sorgfältig gepflasterte Straße. Um den Befund archäologisch und bauhistorisch genauer dokumentieren zu können, wurde damit begonnen in den nicht rezent überbauten Bereichen des Tempels den Bauschutt zu entfernen. Dabei stellte sich heraus, dass man das über dem Podium aufgehende Mauerwerk zumindest in den meisten Bereichen bereits im Mittelalter vollständig abgetragen hatte.

Neben diesem Bauwerk wurden weitere - allerdings nur kleinräumig sichtbare - Architekturen dokumentiert, die in die altsabäische Phase (8.–5. Jh. v. Chr.) gehören. In dieselbe Zeit datieren mehrere Inschriften, die entweder als Spolien verbaut waren oder sich im Privatbesitz der Anwohner von Tan'im befinden. Die bisher bekannten altsabäischen Inschriften belegen die Existenz zweier sabäischer Sakralbauten.

Die Auswertung der erhaltenen Befunde im antiken Stadtgebiet ergab, dass ursprünglich nur kleine Bereiche der Stadt intra muros bebaut waren. Das Zentrum mit öffentlichen Gebäuden und Sakralbauten liegt im Bereich des heutigen Dorfes Tan'im. Wohngebiete dagegen finden sich vor allem auf einem Hügelvorsprung im südwestlichen Bereich der Stadt in unmittelbarer Nähe der Befestigungsmauer. Etwa 400 m südöstlich des Stadtzentrums konnte ein altsabäischer Friedhof identifiziert werden. Bei den stark zerstörten Architekturresten handelt es sich um zahlreiche, direkt nebeneinander gebaute rechteckige Kammern, die als Grablegen dienten. Das zahlreiche Knochenmaterial sowie Vergleiche mit Grabbauten im sabäischen Kernland sprechen dafür, dass die Grabanlagen als Kollektivbestattungen dienten.

Alle weiteren während der bisherigen Arbeiten dokumentierten Spolien, Architekturen und Inschriften fallen in die mittel- und spätsabäische Zeit (1. Jh. v. Chr. – 6. Jh. n. Chr.). Von besonderem Interesse sind dabei zwei Inschriften, die auf Synagogen in Tan'im hinweisen. Eine kam außerhalb der ummauerten Stadtanlage zum Vorschein. In der Nähe sollen gut erhaltene, aber bei rezenten Bauarbeiten überwiegend zerstörte Baustrukturen zutage getreten sein. Möglicherweise ist hier eine der antiken Synagoge zu lokalisieren. Das Gebiet liegt unweit des in mittel- bis spätsabäische Zeit zu datierenden Friedhofsgeländes von Tan'im. Hier finden sich sowohl pagane, jüdische sowie möglicherweise christliche Einzelgräber. Der ausgedehnte Friedhof wird teilweise von frühislamischen Bestattungen überlagert und belegt die Kontinuität des gesamten Fundplatzes.

Als wichtigstes Ergebnis der neuen Forschungen der Außenstelle Sanaa im Khawlan kann festgehalten werden, dass bereits zu Beginn des 1. Jt. v. Chr. Sabäer aus den östlich angrenzenden Wüstenrandgebieten die politische Kontrolle über das Hochland erlangten und die materielle Kultur der Region nachhaltig prägten. Bei Tan'im handelte es sich um eine sabäische Gründung ohne etwaige Vorläufer aus der frühen Eisenzeit Südarabiens. Die Bedeutung von Tan'im reicht weit über die sabäische und himyarische Periode hinaus bis in die islamische Zeit. Der Ort zählte zudem zu den wichtigsten jüdischen Gemeinden des jemenitischen Hochlandes.