Taxes and Authority in the Late Antique Countryside

Eine Seite (P.Flor. III 298A) aus einem Codex, in dem eine Familie des Dorfes Aphrodito in Oberägypten verschiedene sie betreffende steuerliche und wirtschaftliche Dokumente und Notizen nach und nach eintragen ließ (6. Jh. n. Chr.); deutlich zu erkennen sind die unterschiedlichen Schreiberhände. © Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. P.Flor. III 298A. Su concessione del MiC. È vietata ogni ulteriore riproduzione con qualsiasi mezzo. // Biblioteca Medicea Laurenziana

Forschung

Das Projekt setzt sich zum Ziel, die öffentliche Kontrolle lokaler Gemeinschaften zu untersuchen. Dazu fokussiert es auf Institutionen und Netzwerke, die an der Grenze zwischen den römischen Städten einerseits und den Dörfern des städtischen Hinterlands andererseits agierten. Anstatt einem analytischen Modell ‚öffentlicher‘ und ‚privater‘ Tätigkeitssphären zu folgen, in deren Rahmen sich die Protagonisten auf lokaler Ebene im spätantiken Ägypten jeweils bewegt hätten, stellt das Projekt die Frage, wie diese konzeptuell trennbaren, aber faktisch überlappenden Tätigkeitsfelder zur Schaffung der fiskalischen Autorität des Staates und seiner Fähigkeit, Steuern einzutreiben, beitrugen. 

Die Steuereintreibung gehört zu den elementaren Aspekten vormoderner Staatlichkeit und in den Papyri haben sich einerseits massenhaft Amtsakten, andererseits auch zahllose private Spuren staatlicher Aktivität in Briefen, Quittungen, Wirtschaftsaufzeichnungen erhalten. In den Netzwerken und Prozessen der Fiskalverwaltung lässt sich daher ablesen, in welcher Form sich staatliche Autorität ganz konkret auf der lokalen Ebene manifestierte und wie sie wahrgenommen wurde – in den vielen Städten und Dörfern fernab politischer Zentren – und wie sich diese Strukturen über viele kulturelle und politische Änderungen hinweg kontinuierlich, doch behutsam an neue Umstände anpassten, denn die spätrömischen Verwaltungs- und Sozialstrukturen bildeten auch nach der Islamischen Eroberung (639–642) noch lange Zeit die Grundlage der Verwaltung des ägyptischen Raumes.

Die Analyse staatlicher Herrschaftsinfrastruktur auf lokaler Ebene offenbarte größere Nuancen im Aufbau öffentlicher Fiskalautorität als bisher bekannt. Auf lokaler Ebene hat diese Studie zum ersten Mal die Tätigkeit der sogenannten Pagarchen – als Schlüsselakteuren auf verschiedenen Ebenen von der Erhebung vor Ort bis hin zur Aggregation und Buchführung an der Spitze – detailliert dargestellt. Die Ergebnisse liefern nicht nur ein korrektives, verfeinertes und vertieftes Verständnis der einzelnen Verfahren und der zugehörigen Dokumente, sondern fügen die Pagarchen auch in ein detaillierteres Netzwerk öffentlicher Autorität ein, welches verschiedene Akteure im ländlichen Umland der römisch-ägyptischen Städte bildeten. Zwei Punkte sind hierbei besonders erwähnenswert. Zum einen ist der anhaltende Einfluss zu erwähnen, den die Strukturen der alten Kurialverwaltung noch im sechsten Jahrhundert hatten, selbst nachdem aristokratische Magnaten und kaiserliche Beamte einen Großteil der lokalen Verwaltungsangelegenheiten übernommen hatten. Zweitens konnte das Projekt eine strukturelle Unterscheidung zwischen der von den Pagarchen ausgeübten Steuerhoheit und der Steuerhoheit anderer Großgrundbesitzer, die keine Pagarchen waren, vornehmen.

Die konzeptionelle Trennung dieser Institutionen zeitigte zwei wesentliche Konsequenzen für das Projekt. Erstens konnte sich die Analyse nicht mehr nur auf die Pagarchen konzentrieren, sondern musste auch die Karrieren und Schicksale anderer wichtiger Akteure auf lokaler Ebene (z. B. der sog. Apionen, einer großgrundbesitzenden Familie der Reichsaristokratie) einbeziehen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Akteuren erweist, dass die Pagarchie als Institution, vereinfacht gesprochen, ‚sensibel‘ auf die Zusammensetzung der lokalen Eliten reagierte und dass Pagarchen häufig in Bezug auf Rang und Status von ihrer aktiven Amtsführung profitierten, anstatt einfach nur passive local grandees zu sein. Zweitens brachte es die Analyse des Verhältnisses zwischen diesen beiden Manifestationen von Fiskalautorität mit sich, dass die Entwicklung der Pagarchie als Institution im Zusammenhang mit der viel diskutierten Frage nach dem Schicksal der institutionellen Großgrundbesitzungen  in den letzten Jahren der byzantinischen Herrschaft und den ersten Jahren der arabischen Eroberung Ägyptens (642 n. Chr.) neu betrachtet werden musste.

Infolgedessen erwies sich das ursprüngliche Ziel, gewissermaßen Idealtypen von Pagarchen für die byzantinische Zeit einerseits und die frühislamische Zeit andererseits zu bestimmen und diese dann zu vergleichen, als weniger vielversprechend für die Untersuchung von Autoritätsnetzwerken im städtischen Hinterland als dies ursprünglich der Fall zu sein schien. Stattdessen wurde das Projekt neu ausgerichtet, um das Machtgleichgewicht zwischen verschiedenen Akteuren auf dem Lande im sechsten und frühen siebten Jahrhundert genauer zu untersuchen.

Da das Projekt mit seinem angepassten analytischen Fokus die Pagarchen von anderen Quellen fiskalischer Autorität trennte, konnte es eine klare Entwicklungslinie der Pagarchen von kleinen Kurialbeamten im vierten Jahrhundert zu den „Gau-Chefs“ der frühen islamischen Zeit ziehen. Sie fand auch starke Belege dafür, dass diese Entwicklung mit dem Schicksal der Eliten in den Gauen, den Subdistrikten der Provinz, verbunden war: Offenbar wurde das System der Verwaltung durch die großen Landgüter gegen Ende der byzantinischen Herrschaft strukturell abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt. Eine plausible Erklärung dafür scheint zunehmende Unfähigkeit dieser Gutsverwaltungen gewesen zu sein, den Notwendigkeiten der erweiterten Steuererhebungspflichten gerecht zu werden. Daraus resultierte der endgültige Schritt der byzantinischen Pagarchen zur nunmehr auch nominell obersten Zivilbehörde in den Städten – eine Entwicklung, die bislang in der Regel durch einen von den arabischen Invasoren eingeleiteten Rationalisierungs- und Zentralisierungsprozess erklärt worden war. Der große Strukturwandel auf dieser Ebene fiel also womöglich in die Zeit der byzantinischen Herrschaft unmittelbar vor der islamischen Eroberung, nachdem das Intermezzo der persischen Besatzung Ägyptens (619–629 n. Chr.) Anlass zu strukturellen Innovationen gegeben hatte.