Archäologische Bestandsaufnahme der Küste Thrakiens

Wachturm an der Flussmündung des Kilia (Çeşme) in den Hellespont. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis

Forschung

Fragestellung

Eine systematische archäologische Untersuchung der topografischen Entwicklung der Küstenbereiche soll primär nicht etwa die spätantiken und mittelalterlichen Seeverbindungen zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer hervorheben. Im Vordergrund stehen viel mehr das ständig wechselnde Verhältnis zwischen Küsten- und Flusslandschaften. Der Fluss als Lebensraum, aber auch seine Rolle als Verkehrsader erlaubt neuen Input für die Erforschung von Kommunikationswegen und Wirtschaftsräumen in Byzanz. Hierbei sollen vor allem die Entwicklung und die Art sowie der Einfluss landwirtschaftlicher und industrieller Nutzung von Flusslandschaften auf die Siedlungsgeschichte in Anbindung zu maritimen Handelsnetzwerken in den Mittelpunkt der Forschung rücken. So werden neue Aspekte des Wirtschaftslebens entlang der thrakischen Küste von der Spätantike bis zum Mittelalter erschlossen.

Zwei Fragenkomplexe stellen dabei den Leitfaden des Forschungsprojektes dar:

1) Welche Rolle spielen Flusslandschaften für Lebens- und Wirtschaftsräume in Byzanz

2) In welchem Ausmaß dienten Flüsse als Verkehrsachsen und wie waren diese an die maritimen Kommunikationswege angebunden?

Mit dem thrakischen Hinterland Konstantinopels und vor allem dem Bathynias Fluss als Forschungsschwerpunkt, soll schließlich geprüft werden, ob die materiellen Hinterlassenschaften am Nordrand der Küçükçekmece Lagune einer der zwei in den Schriftquellen erwähnten aber noch nicht verorteten byzantinischen Toponymen „Schiza“ oder „Melantias“ zugeordnet werden kann.

Forschungsziele

Basierend auf schriftlichen Quellen, historischen Berichten und bereits vorhandenen archäologischen Daten zu Thrakien soll eine gezielte archäologische Untersuchung der Istanbul umliegenden Küstenlandschaft und ihrer Flussverbindungen durchgeführt werden. Die Resultate bezwecken insofern einerseits Erkenntnisse zur strategischen Bedeutung von Flussläufen als Kommunikationswege und andererseits zur Beleuchtung der Flussmündungen als Wirtschaftsräume und Knotenpunkte maritimer Netzwerke. Die Untersuchung soll allerdings nicht nur im Kontext der Siedlungsgeschichte Konstantinopels und seines Umlandes erfolgen, sondern auch für weitere geographische Räume wegweisend sein und unter Beachtung regionaler Einflüsse einen Leitfaden darstellen.

Im Rahmen der Studie sollen intensive archäologische Untersuchungen vor allem im Mündungsbereich des Bathynias Flusses in die Küçükçekmece Lagune durchgeführt werden, welches als topographisch-historisches Fallbeispiel dient und somit der allgemeinen diachronen Analyse der Küsten- und Flusslandschaften Thrakiens gegenübergestellt wird.

Ansätze und Methoden

Im Rahmen des Forschungsprojekts sollen einerseits gezielte Bereisungen der Konstantinopel umliegenden Küstenlandschaft und ihrer Flussverbindungen durchgeführt werden. Diese dienen als wissenschaftliche Grundstudie zur Erforschung von Flussläufen und deren Flussmündungen. Hierbei konzentriert sich die Untersuchung nicht nur auf die westliche Schwarzmeerküste, sondern auch auf die thrakische Propontisküste, den Hellespont und den Saros Körfezi. Im Anschluss daran richtet sich das Hauptaugenmerk des Forschungsprojekts auf den unmittelbar westlich von Konstantinopel befindlichen Bathynias Flusses als detailliertes Fallbeispiel. Entlang der ca. 30 km langen Nord-Süd-Verbindungen zwischen Durusu Gölü am Schwarzen Meer und der Küçükçekmece Lagune an der Propontis werden in Zusammenarbeit mit der Kocaeli Universität eine Reihe von Grabungs- und Surveykampagnen zur archäologischen Erschließung der Flussläufe als strategisch bedeutende Aspekte der Siedlungsgeschichte Konstantinopels und seines Umlandes durchgeführt. Diese werden durch geophysikalische Prospektionen an den jeweiligen Flussmündungen intensiviert, welche eine historiographische Analyse der Anbindung zwischen den Küsten- und Flusslandschaften erlauben. Zusätzlich sollen Kernbohrungen zur historischen Rekonstruktion und Nutzung der Flussmündungen beitragen.

In Bezug auf die Untersuchungsmethoden hängen die anzuwendenden wissenschaftlichen Techniken vom jeweiligen Standort, der historischen Periode und der zu erwartenden Resultate ab.

Quellen

- Aydıngün, Ş. (ed.) 2017. İstanbul Küçükçekmece Göl Havzası Kazıları. Excavations of Küçükçekmece Lake Basin (Bathonea). Istanbul.

- Ginalis A. and Ercan-Kydonakis, A. 2021. Some Reflections on the Archaeology of the Late Antique and Byzantine Harbours of Constantinople, in F. Daim and E. Kislinger (eds), The Byzantine Harbours of Constantinople. Byzanz       zwischen Orient und Okzident 24 (Interdisziplinäre Forschungen 10): 33-72. Mainz.

- Kara, Ü., Aydıngün, H. and Enez A. (eds) 2022. International City and History Symposium on Avcılar (October 21st-22nd 2021). Istanbul, Avcılar.

- Külzer, A. 2008. Ostthrakien (Eurōpē). Tabula Imperii Byzantini 12. Vienna.

- Külzer, A. 2010. Die Thrakische Propontisküste. Beobachtungem zum Siedlungsbild in Byzantinischer Zeit. Kölner Jahrbuch 43: 429-441.

- Öniz, H., Kaya, H. and Aydıngün, Ş. 2014. A Harbour Structure at Beylikdüzü, Istanbul. The International Journal of Nautical Archaeology 43/1: 179-184.

- Ousterhout, R. and Bakirtzis, Ch. 2007. The Byzantine Monuments of the Evros/Meriç River Valley. Thessaloniki.

- Rizos, E. and Sayar, M. H. 2017. Urban Dynamics in the Bosphorus Region during Late Antiquity. In E. Rizos (ed.), New Cities in Late Antiquity. Documents and Archaeology: 85-99. Turnhout.

- Stanisławski, B. 2017. Project: Constantinople/Istanbul – Küçükçekmece the Destination Port of the Way from the Varangians to the Greeks, a centre of Byzantinization of the Rus’ Community – Aims, Sources and Objectives. In İstanbul   Küçükçekmece Göl Havzası Kazıları:   499-517. Istanbul.

Forschungsgeschichte

Für das thrakische Hinterland Konstantinopels reichen die Forschungen weit in das 19. Jahrhundert zurück. Eine erste systematische Aufarbeitung des gesamten geographischen Raumes wurde allerdings erst in den 2000er Jahren von der Tabula Imperii Byzantini durchgeführt. Allerdings stellen auch hier nähere Untersuchungen der Flusslandschaften und Küstenzonen nach wie vor eine Lücke dar. Im Falle des Bathynias Flusses und der Küçükçekmece Lagune, so konnten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgedehnte Siedlungsspuren dokumentiert werden. Anhand erster archäologischer Untersuchungen unter der Leitung von Ernest Mamboury in den 1930er Jahren wurde der Fundort allerdings fälschlicherweise mit der in den Schriftquellen bekannten spätantiken Hafenstadt Rhegion gleichgesetzt. Letztere wurde schließlich in den 1940er Jahren an der östlichen Mündung der Lagune in das Marmarameer lokalisiert.

Seit 2009 führt die Kocaeli Universität unter der Leitung von Prof. Şengül G. Aydingün großflächige Grabungen auf der Firuzköy Halbinsel am Westufer der Lagune durch. Aufgrund einer Siedlungskontinuität von der Antike bis in das Mittelalter wurde die Grabungsstätte schließlich als die antike thrakische Hafenstadt Bathonea identifiziert, welche anhand von Schriftquellen nach dem gleichnamigen benachbarten Bathynias Fluss (heute Sazlıdere) benannt ist.

Jüngste Erkenntnisse gehen allerdings davon aus, dass es sich tatsächlich eher um das dicht besiedelte Umland von Schiza oder Melantias (womöglich am Nordufer der Lagune zu lokalisieren) handelt.

Bathynias Fluss, Blick nach Süden. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Grabungsarbeiten an der Küste der Küçükçekmece Lagune © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Küstensteinbruch in Akra, thrakische Küste Bulgariens. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Küstensteinbruch in Poros, thrakische Küsten Bulgariens. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Flusslauf des Salmedessos (Papuçdere) bei Kıyıköy am Schwarzen Meer. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Antike Hafenstrukturen von Elaius an der Südspitze der Gallipoli-Halbinsel. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Strukturen entlang der Küste der Firuzköy Halbinsel in der Küçükçekmece Lagune. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Anleger in der Küçükçekmece Lagune. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis
Byzantinische Folleismünze des Kaisers Tiberius II. © DAI-IST // Alkiviadis Ginalis