© DAI // Klaus Schmidt, editiert T. Lemke-Mahdavi

Cluster 1: Neolithic Worlds

Die am DAI angesiedelten Projekte zur Sesshaftwerdung und Ausbreitung der produzierenden Lebensweise und frühen Komplexität zeigen eine breite globale Abdeckung und zeitliche Tiefe.

Hinzu treten übergreifende Kooperationen der einzelnen Mitglieder der Arbeitsgruppe. Dies alles ist ein herausragendes Potential für die Wissenschaft, neue methodische Akzente und theoretische Erklärungskonzepte (auch auf internationaler Ebene) in der aktuellen Diskussion zu setzen und zu entwickeln. Zu nennen sind die umfassenden Programme zum karpatischen und südkaukasischen Neolithikum, die jüngsten Erkenntnisse über die frühneolithische Siedlung am Göbekli Tepe in Obermesopotamien und auch die verstärkten Aktivitäten in bislang weniger beachteten Regionen (Arabische Halbinsel, Afrika, Zentralasien und Ostasien).

Projektverantwortlicher  Dr. phil. Lee Clare, Dr. Judith Thomalsky

Adresse  Inönü Caddesi 10 , 34437 Istanbul

Email  Lee.Clare@dainst.de

Laufzeit  2006 - 2025

Projektart  Verbundforschung mit Teilprojekten

Fokus  Methodenentwicklung, Verbundforschung, Modellierung

Förderer  Abteilung Istanbul, Eurasien-Abteilung, Außenstelle Teheran der Eurasien-Abteilung

Schlagworte  Konzepte, Methoden

Projekt-ID  5728

Dr. phil. Lee Clare
Dr. phil. Lee Clare
Referent für Prähistorische Archäologie / Göbekli Tepe / IT und Forschungsdatenmanagement
Lee.Clare@dainst.de
Dr.  Judith Thomalsky
Dr. Judith Thomalsky
Referentin für Iranische Archäologie und Leiterin der Außenstelle Teheran
Judith.Thomalsky@dainst.de

Clusterbericht 2021

Der 2021 begonnene Diskurs um den Begriff »Neolithisierung« bzw. seiner begrifflichen und kulturellen Diversität wurde in mehreren virtuellen Treffen fortgesetzt. Dabei wurde die gemeinschaftliche Publikation beschlossen, die als Thema ebengenau jene Auseinandersetzung und Problematik aufgreift, und mögliche Lösungen hierzu in einer globalen Perspektive anbietet. Als Startpunkt für eine solche Publikation und um einen gemeinsamen Konsens überhaupt entwickeln zu können, brachten die Gruppenmitglieder jeweils zu ihrer spezifischen Forschungsregion die drängendsten Fragestellungen und Arbeitshypothesen ein. Konsequenterweise müssen auch die im Rahmen der zwischen 2016 und 2019 durchgeführten Workshops komparatistischen Ansätze zur Endpublikation gebracht werden.

In 2022 stand daher die redaktionelle Bearbeitung des Tagungsbandes »J. Thomalsky – M. Kunst – M. Reindel – H. Fazeli Nashli – P. Kaulicke (eds.), From Sedentarization to the Complex Society: Settlement, Economy, Environment, Cult.  Proceedings of the workshops in Lisbon, Tehran and Lima, Menschen – Kulturen – Traditionen 21« im Fokus. Die Publikation wird für Mai 2023 erwartet. Während wir uns im letzten Jahr mit den vier Themenschwerpunkten (1) Der Beginn von Sesshaftigkeit und Landwirtschaft/Onset of sedentism and farming, (2) Übergänge und Grenzen: Letzte Jäger – frühe Bauern? Kontraste und Konvergenzen/Transitions and frontiers: last hunters – early farmers? Contrasts and convergences, (3) Anbau und Nachhaltigkeit/ Cultivation and sustainability und (4) Konzeption und Timing kultureller Veränderungen/ Conceptualizing and timing cultural changes, der Vielfalt der gegangenen Wege, die zum neolithischen »life style« hinführen, der eine »neolithische Welt« zeigt , auch in den aktuellen Erklärungsmodellen angenähert haben, sollten dieses Jahr die gemeinsamen Themen im Vordergrund stehen.

Ein aus den vier Schwerpunkten heraus entwickelter und an uns selbst gestellter Fragenkatalog sollte helfen, eine gemeinsame Leitlinie zu fassen. Erste Ansätze können folgendermaßen zusammengefasst werden: Der Nachweis von Domestikation in unseren Fundkomplexen steht als ›Tipping point‹ für den Begriff »Neolithikum«, im Sinne eines irreversiblen Prozesses, der höchstens noch zeitversetzt passiert (Antolin; Gillis). Früheste Nachweise entlang des fruchtbaren Halbmonds (vom Zagros bis Levante) zeigen, dass Tier- und Pflanzennutzung deutlich vor den ersten taphonomischen Evidenzen stattgefunden hat, und auch, dass diese Entwicklung in einer long-durée Perspektive von verschiedenen Jäger-und-Sammler-Gruppen angestoßen und umgesetzt wurde. In anderen Welten tritt Domestikation deutlich später oder gar nicht auf, obwohl die Gemeinschaften sesshaft leben und/oder als nahrungsproduzierend gewertet werden (Furholt; Piezonka). Als Argumente für den Negativ-Beleg werden vor allem Umwelt- und Klimabedingungen angeführt, die die schon mehrfach erwähnte »Nischenkonstruktionstheorie« untermauern. Mit Blick auf die Diskussionen, die um das Auftreten von domestiziertem Rind in Afrika geführt werden (Kindermann), kann außerdem festgestellt werden, dass mit »Domestikation« ausdrücklich die aus Asien stammenden Capriden gemeint sind. Nachdem domestiziertes Rind zusammen mit keramikproduzierenden Gruppen in sog. retreat areas in der Sahara relativ früh auftritt, um dann wieder zu verschwinden, werden domestizierte Capriden um 6000 BC in einer Art zweiten Welle, nun nämlich auch zusammen mit Rind aus Asien, auf den Kontinent und hier v. a. entlang des Niltals eingeführt.

Domestikation wird auch nach Europa getragen, und nich lokal herbeigeführt. Dies offensichtlich durch Migration von neolithischen Gruppen, die in der Frühphase eindeutig in den neu erschlossenen Gebieten identifizierbar sind. Die weitere Verbreitung läuft auf ähnlichen Pfaden wie die Verbreitung von Keramikproduktion, was in der Tat an ein ›neolithisches Paket‹ denken lässt. Signifikant ist, dass die Nutzung lokaler Resourcen (aquatische Resourcen, Rohstoffe) und Mobilitätsgrad auf annähernd gleichem Niveau bleibt, also die neolithische Lebewelt der mesolithischen Welt näher ist, als ursprünglich gedacht. Die als mesolithische Nischen angesprochenen Kontexte mögen dabei nicht unbedingt als Rückzugsregionen verdrängter mesolithischer Gruppen interpretiert werden, sondern beschreiben, nach unserem Modell objektiv betrachtet, weitere Lebenswelten. Auch in den sog. Kernregionen (Westasien) der Domestikation von Pflanzen und Tieren der Alten Welt (Capriden, Rind) ist Diversität vorherrschend. Diese mag u. a. erklärbar damit sein, dass verschiedene Gruppen (= Lebewelten) auf unterschiedlichen Wegen vergleichbare Ideen umsetzen, ein bekanntes Prinzip aus der Innovationstheorie. Unterschiedliche Rahmenbedingungen sind hierin zu berücksichtigen, gruppenspezifischer Habitus, Resilienzen und Zeitfaktor ebenfalls. Die einzelnen Lebewelten durchlaufen außerdem Anpassungen und Entwicklungen, erleben neuartige Einflüsse und Netzwerke.