Heliopolis

Tempelbezirk von Heliopolis © DAI Kairo // Klara Dietze

Raum & Zeit

Schöpfungsmythos von Heliopolis

Nach dem Schöpfungsmythos von Heliopolis ist an diesem Ort die Welt entstanden. Hier soll sich der erste Sonnenaufgang ereignet haben. Nach altägyptischer Denkweise begann alles mit dem All, das mit dem Schöpfergott Atum gleichgesetzt wurde. Als Atum sich in Luft/Licht und Hitze aufspaltete, wurde in der Folge die Weltschöpfung vollzogen: Heliopolis erschien als sogenannter Urhügel. Alles, was fortan auf der Erde existierte, war daher ein Bestandteil des Alls. Dazu zählten die von Atum generierten Gottheiten Schu, Tefnut, Geb und Nut, die für die Luft/Licht, Hitze, Erde und den Himmel standen. Es folgte die Göttergeneration Osiris, Isis, Nephthys und Seth. Horus, der Sohn von Osiris und Isis, wurde mit dem König Ägyptens, dem Pharao, gleichgesetzt. Die Götterverehrung im Tempel von Heliopolis galt daher den Vorfahren der Pharaonen. Jeder König Ägyptens sah sich als die Erscheinung des Horus auf Erden – womit die Weltschöpfung direkt zur „idealen“ politischen Ordnung eines ungeteilten Landes unter einem Herrscher führte. Es gehört zu diesem Gedankensystem, dass der Schöpfergott Atum in einer ganz speziellen Weise dargestellt wurde: Er erscheint in altägyptischen Reliefs als König.

Eine kurze Geschichte von Heliopolis: 4. – 3. Jt. v. Chr.

Die ältesten gesicherten Zeugnisse gehören dem mittleren-späteren 4. Jt. v. Chr. an. Ausgrabungsergebnisse der Jahre 2019-2022 konnten erstmals innerhalb des späteren Tempelbezirks einen Wirtschaftsbezirk sowie nahe des 1500 Jahre jüngeren Obelisken Hinweise auf sakrale Strukturen identifizieren. Das Tempel- und Siedlungsniveau der 1. Hälfte des 3. Jts. v. Chr. liegt unter dem heutigen Grundwasserspiegel und ist deswegen bislang von keiner Ausgrabung erreicht worden.

Älteste, heute in Turin befindliche Relieffunde belegen ein Sanktuar des Djoser (um 2675 v. Chr.). Papyrusfunde der Zeit des Kheops bezeugen eindrücklich, wie die Königsdomäne von Heliopolis für die Versorgung von Arbeitereinheiten beim Pyramidenbau eingesetzt wurde. Inschriftlich sind Statuenweihungen und weitere königliche Aktivitäten aus der 4.-5. Dynastie bekannt. Ägyptische Ausgrabungen fanden den ältesten Königsobelisken Ägyptens sowie einen Schrein, dessen Texte König Teti (6. Dyn.) nennen. Sobald Textquellen ein Urteil erlauben, kann die Besetzung der heliopolitanischen Hohepriesterstellung durch königliche Familienangehörige bezeugt werden.

Spätes 3. – früheres 2. Jt. v. Chr.

Politische Konflikte in der Zeit nach dem Zerfall des Zentralstaats des Alten Reichs sind aus der Nekropole nachweisbar. In der Folge sind heliopolitanische Arbeitskräfte bei den Pyramidenbauprojekten der Herrscher des Mittleren Reichs zu identifizieren. Heliopolis wird nun zum größten Sonnenheiligtum Ägyptens ausgebaut. Ein Neubauprojekt wurde von Amenemhat I. begonnen und unter Sesostris I. in monumentaler Form mit der Errichtung eines Paares von 20 m hohen Granitobelisken fortgesetzt. Weitere Ergänzungen des Baubestands stammen von Sesostris III., aber auch folgende, weniger bekannte Könige wie etwa Amenemhat V. hinterließen Denkmäler im Sonnentempel. Aus der östlich anschließenden Nekropole stammen Hinweise auf qualitätvoll reliefdekorierte Mastabas dieser Zeit. Religiöse und literarische Texte nehmen vielfach Bezug auf die Tempelstadt. In der Zweiten Zwischenzeit gehört Heliopolis – gemeinsam mit dem 15 km nördlich gelegenen Tell el-Jehūdīje – zur Einflusssphäre der Hyksos.

Mittleres - spätes 2. Jt. v. Chr.

Die Herrschaftsdynastie der 18. Dynastie stammt aus dem oberägyptischen Theben (=Luxor) und setzte alles daran, den Amuntempel von Karnak zu einem oberägyptischen Heliopolis – so wurde es auch genannt – auszubauen. Dennoch finden sich Hinweise auf weitere Aktivitäten in Heliopolis, wie etwa die erste archäologisch bezeugte Bestattung eines heiligen Stieres, des Mnevis, in der Regierungszeit der Königin Hatschepsut (um 1775 v. Chr.). Unter Thutmosis III. (um 1450 v. Chr.) erfolgt ein vielgestaltiger Ausbau, u.a. mit einem gewaltigen Flutschutzwall.

Das königliche Investment in Heliopolis wird auch nicht durch die sogenannte Amarnazeit unterbrochen, in der die staatliche Förderung für die traditionellen Kulte weitgehend durch Echnaton und Nofretete eingestellt wurde. Eine nochmals gesteigerte Bau-, Stiftungs- und Ausstattungstätigkeit ist unter den Ramessidenkönigen der 19.-20. Dynastie bezeugt.

Eine ausführliche Darstellung hiervon ist im Papyrus Harris (BM EA 9999) im British Museum in London erhalten. Spätestens zum Ende der 20. Dynastie scheint sich die Krise des Neuen Reichs auch auf Heliopolis ausgedehnt zu haben. Archäologische Zeugnisse sprechen hier für soziale Verwerfungen unterschiedlicher Ursachen.

Frühes – späteres 1. Jt. v. Chr.

Sobald sich die Lage nach der Desintegration des ägyptischen Zentralstaats stabilisierte, ist auch in Heliopolis von Königen wie Scheschonk I. und Osorkon I. wieder ein erhebliches Engagement festzustellen, das zumindest zwischenzeitlich den Eindruck erwägt, als wären beträchtliche Teile des Staatsschatzes in heliopolitanischen Heiligtümern angelegt worden. Auch der kuschitische König Piye fühlt sich zu einem Besuch am Ort der Weltschöpfung verpflichtet. Die ägyptische Renaissance der 26. Dynastie ist durch zahlreiche Investitionen in Bauten, Ausstattung und Infrastruktur in Heliopolis bezeugt.

Umstritten ist, inwieweit der Tempelbezirk durch die erste Perserbesatzung (525-404 v. Chr.) in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die gut 60 Jahre währende Unabhängigkeit vor dem zweiten Persereinfall (341-332 v. Chr.) führte vor allem unter Nektanebis (I.) erneut zu Großprojekten und Sicherungsmaßnahmen mit gewaltigen Umfassungsmauern. Spätere antike Quellen, die sogar Besuche von Geistesgrößen wie Pythagoras, Platon und Eudoxos für möglich hielten, zeigen, dass Heliopolis einen internationalen Ruf als Wissenszentrum genoss.

3. Jh. v. Chr. – 3. Jh. n. Chr.

Auch wenn es unter den Ptolemäerkönigen keine größeren Baumaßnahmen mehr gab, kann archäologisch die fortwährende hellenistische Nutzung des Tempelbezirks bezeugt werden. Erst um 25./24. v. Chr. zeigen die Berichte Strabons, dass Heliopolis schließlich keinem herrschaftlichen Interesse mehr unterlag Die Folge ist der Abtransport zahlreicher Obelisken schon unter Augustus und unter seinen Nachfolgern.

Unter Kaiser Diokletian kann 297 n. Chr. erstmals eindeutig auch der Abtransport von Baumaterial unter der sogenannten Pompejussäule von Alexandria nachgewiesen werden. Hiermit beginnt eine Geschichte der Nutzung des Tempels von Heliopolis als Steinbruch, die sich bis in das 15. Jh. n. Chr. hinzieht und vor allem die Bausubstanz aus Kalkstein zum Ziel hatte. In den Ausgrabungen finden sich daher vor allem Architekturelemente und Skulpturen aus Hartgesteinen wie Basalt, Granit und Quarzit.