Nachruf Amani Ghanem
Amani wurde am 2. Februar 1948 in Kairo geboren, wo sie von 1954 bis 1966 die Deutsche Schule der Borromäerinnen im Stadtteil Bab el-Luk besuchte. Von 1967 bis 1970 studierte sie an der Universität Kairo Germanistik. Bereits im Jahr darauf wurde sie von der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts als Dolmetscherin und Sachbearbeiterin in der Verwaltung eingestellt.
Schon sehr bald nach ihrer Anstellung hat Amani über diese Funktionen hinausgehende Verantwortung im Institut übernommen. Hier ist vor allem ihre vermittelnde Tätigkeit in dem nicht immer einfachen Umgang mit den ägyptischen Behörden hervorzuheben. Mit einem beispiellosen Engagement und größter Zuverlässigkeit, profunder Sachkenntnis, sowie mit ihrer charmanten, respektvollen Beharrlichkeit und einem aussergewöhnlichen Fingerspitzengefühl hat Amani die bilateralen Beziehungen des Instituts über fast 40 Jahre hinweg gelenkt und maßgeblich mitbestimmt. Die für die Arbeit des Instituts unerlässlichen und heute als hervorragend zu bezeichnenden Beziehungen zum ägyptischen Antikenministerium (vormals SCA), wie auch zu den akademischen Einrichtungen des Landes und den ägyptischen Behörden sind dem unermüdlichen Einsatz Amanis zu verdanken. Ebenso intensiv vermittelte sie über Jahrzehnte zwischen den ägyptischen Stellen und den in Ägypten durchgeführten Unternehmungen deutscher Universitäten und hat auch damit einen erheblichen Beitrag zur Förderung des akademischen und wissenschaftlichen Austauschs zwischen beiden Ländern geleistet.
Amanis Engagement hat aber auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebes, auf kulturpolitischer Ebene, entscheidend zu den guten Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten beigetragen. So ist es letztlich ihren vermittelnden Fähigkeiten und ihrem diplomatischen Geschick zu verdanken, dass die Fragmente der vergoldeten Sargwanne des Königs Echnaton, eines herausragenden und historisch wichtigen altägyptischen Objektes, nach Ägypten zurückgeführt werden konnten. Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckte Sarkophag war lange verschollen und tauchte Anfang der 80er Jahre in München auf. Im Jahre 2002 konnte die Sargwanne nach fast zwei Jahrzehnte lang währenden politischen und diplomatischen Verhandlungen offiziell an das Ägyptische Museum in Kairo zurückgegeben werden. Mit der Rückführung der Sargwanne, die sowohl in Deutschland als auch in Ägypten mit großem öffentlichen Interesse verfolgt wurde, konnte ein Schlussstrich unter eine langwierige Affäre gesetzt werden, die dem Ansehen der Bundesrepublik nicht nur in Ägypten Schaden zuzufügen drohte.
Amani war auch ausschlaggebend in die Ausrichtung und Organisation der 100-Jahrfeier des Instituts in Kairo im Jahre 2007 involviert, die für alle Beteiligten einen großen Erfolg darstellte. Als eine ihrer bemerkenswertesten Glanzleistungen ist dabei wiederum die Schlichtung einer kulturpolitischen Kontroverse zu nennen: Die mehr als zweijährigen Vorbereitungen der Feier waren über längere Zeit von der vor allem in den ägyptischen und internationalen Medien wiederauflebenden Diskussion um die Rückführung der weltberühmten Büste der Nofretete im Berliner Museum nach Ägypten überschattet. Die Büste hatte der Gründer des Instituts in Kairo, Ludwig Borchardt, während seiner Ausgrabungen für die Deutsche Orient Gesellschaft 1912 in Amarna gefunden und nach Berlin gebracht. In zahlreichen Gesprächen mit den ranghöchsten Vertretern des ägyptischen Kulturministeriums und der ägyptischen Altertümerverwaltung hat Amani mit größtem Geschick und Feingefühl interveniert, sodass während einer Pressekonferenz zu Beginn der Feierlichkeiten von der ägyptischen Antikenverwaltung ein Ende der auf beiden Seiten zuweilen sehr emotional geführten Debatte verkündet werden konnte.
Aufgrund ihrer tiefen Verbundenheit und ihrer Loyalität gegenüber dem Deutschen Archäologischen Institut hat sich Amani über 40 Jahre lang nicht nur mit größter Intensität, sondern auch äußerst erfolgreich für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ägypten eingesetzt. In Anerkennung dieser Leistungen wurde ihr in den Räumen des Instituts am 9.2.2015 der Verdienstorden am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Der deutschen Kultur eng verbunden, hat Amani sich selbst stets als eine Mittlerin zwischen den Welten verstanden. Sie war eine patriotische Ägypterin, erfüllt von inniger Liebe zu ihrem Heimatland und voller Empathie gegenüber seinen Menschen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie sich daher mit tiefer Hingabe für die Förderung ägyptischer Kolleginnen und Kollegen eingesetzt, die sie mit Rat und Tat unterstützte und denen sie im Hinblick etwa auf Studienaufenthalte in Deutschland, bei diversen administrativen Fragen sowie in persönlichen Belangen hilfreich zur Seite stand. Ebenso beriet sie deutsche Neuankömmlinge und Alteingesessene im Institut in Fragen zur heutigen ägyptischen Kultur und Gesellschaft.
Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst im Jahr 2013 blieb Amani dem DAI Kairo treu verbunden. Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie einer über die Jahre hin unüberschaubaren Zahl an Gästen des Instituts wird Amani Ghanem nicht nur als kompetente und hilfsbereite Ansprechpartnerin, sondern auch als kluge und warmherzige Frau in Erinnerung bleiben, die selbst unter schwierigen Umständen unbeirrt nach Lösungen suchte.
Amani Ghanem hinterläßt ihren Ehemann, zwei Töchter und vier Enkelkinder.
(Daniel Polz)