Nekropole im Fokus: Untersuchungen zu Grabentwicklung, sozialem Spektrum und religiöser Praxis

Dra’ Abu el-Naga, Blick auf das Areal H mit der Pfeilerfassade des Grabes TT 232 und der Pyramide des Königs Nub-Cheper-Ra Intef © DAI Kairo // D. Polz

Forschung

Die der archäologischen, bauhistorischen und kulturgeografischen Untersuchung der Nekropole von Dra‘ Abu el-Naga zugrunde liegenden Fragen gelten der Beschaffenheit und Gestalt von Grab, Bestattung und Nekropole sowie den verschiedenen Faktoren, die ihre Entstehung und Entwicklung bedingen und beeinflussen: Warum werden Gräber an einem bestimmten Ort angelegt? Welche Form haben sie und wie sind sie ausgestattet? Wer (welche soziale Gruppe) lässt sich an einem Ort bestatten? Gibt es Verteilungsmuster und worauf sind diese zurückzuführen? Inwieweit und in welchem Maße können archäologische Ergebnisse zur Klärung historischer, soziologischer, ökonomischer, prosopographischer, religiöser und ritualbezogener Aspekte der in den Grabanlagen bestatteten Bevölkerung des alten Theben beitragen? Diesen Fragen wird durch die Anwendung unterschiedlicher Forschungsansätze und Methoden (siehe dort) nachgegangen.

Die im Projekt angewendeten Methoden sind die stratigrafische Ausgrabung, architektonischer Survey – im tachymetrischen und im Structure from Motion-Verfahren (SfM) wie auch im Handaufmaß – und ein ebenfalls SfM-basierter topografischer Survey. Hinzu kommen die epigrafische Aufnahme ...

von Grabdekoration sowie Untersuchungen des archäologischen Materials in Form typologischer, kunst- und kulturhistorischer, technologischer und archäometrischer Objektanalysen. Das in Dra‘ Abu el-Naga geborgene pharaonische Fundmaterial stellt einen Querschnitt der materiellen Kultur von der 11. bis in die 26. Dynastie dar (von ca. 2000 bis 650 v. Chr.). Seine Auswertung erfolgt nach religiösen, sozio-ökonomischen und funktional-technologischen Gesichtspunkten und zielt daneben auch auf die Verfeinerung von Typologien, vor allem der Keramikinventare, und damit von Datierungskriterien verschiedener Objektgruppen.

Das übergreifende Forschungsziel der Unternehmung ist es, die Formation und Entwicklung der Nekropole von Dra‘ Abu el-Naga nachzuzeichnen und dabei die chronologischen, sozialen und religiösen internen wie auch externen Zusammenhänge zu verstehen. Ein Fokus der archäologischen und baugeschichtlichen Forschung liegt auf der Form und Architektur von Gräbern, ihrer Konfiguration und Anordnung und dem sozialem Verteilungsmuster. Die Auswertung der archäologischen und baulichen Befunde, so vorhanden auch der Wanddekoration, des geborgenen Beigabeninventars und die anthropologische Analyse der Mumien bzw. menschlichen Überreste geben Aufschluss über die vorliegende Ritual- und Bestattungspraxis. Neben der Untersuchung von einzelnen Gräbern als archäologische und kulturhistorische Informationsquelle stehen die Interrelationen zwischen Gräbern und Grabclustern sowie Bezüge zur Landschaft – ihrer religiösen/ideellen Bedeutung wie auch ihren materiellen Formen – im Fokus. Besonderes Augenmerk gilt zudem der Nutzungsgeschichte von Gräbern bzw. Orten, ihrem Wandel und ihrer physischen sowie ideellen Umgestaltung. Aus diesem Grund war es ein dringendes Desiderat, mit Deir el-Bachit die größte koptische Klosteranlage im Raum Theben und damit ein zentrales Element der lokalen koptisch-monastischen Landschaft archäologisch zu untersuchen.

Ein besonderer Forschungsfokus lag von Anfang an auf den Gräbern der 17. und frühen 18. Dynastie, hier vor allem auf der Lokalisierung der königlichen Grabanlagen der 17. Dynastie und damit einhergehend der Rekontextualisierung einzelner Elemente ihres Grabinventars (darunter drei Königssärge), die im 19. Jahrhundert durch Beraubung und somit ohne eindeutige Provenienz in den Kunsthandel und schließlich in verschiedene europäische Sammlungen gelangt sind. Die Bestattungsanlagen selbst sowie ihre genaue Lage blieben undokumentiert. Ein Anliegen war es daher, diese Gräber zu lokalisieren, ihre Architektur zu erfassen und den Kontext für die daraus stammenden Objekte wiederzugewinnen.

Begonnen wurde das Projekt 1991 in einem ursprünglich rund 160.000 m2 großen Konzessionsgebiet, in dem verschiedene Grabungsareale (Areal A bis H, siehe

org%2Fdocuments%2F10180%2F4723531%2FPolz_et%2Bal_MDAIK68_2012.pdf%2Fc59878ed-7f38-11c8-2962-69a1975d3aa7%3Fversion%3D1.0&fileName=Polz_et%20al_MDAIK68_2012.pdf.pdf">hier) nach spezifischen Gesichtspunkten definiert wurden. Bis 1994 wurde schwerpunktmäßig das im Norden der Konzession in der Ebene gelegene Areal A untersucht, ein Bereich mit Schachtgräbern (teilweise mit Lehmziegeloberbauten) der frühen bis mittleren 18. Dynastie. Ab 1993 wurden die Arbeiten auf die weiteren Areale ausgedehnt und konzentrieren sich seit 2001 auf zwei Bereiche: Areal H, das unter anderem die Pyramide des Königs Nubcheperre Intef aus der 17. Dynastie und das große Saff-Grab des thebanischen Hohepriesters Min-Month (TT 232) enthält, und Areal E, das die Doppelgrabanlage K93.11/K93.12 und das umliegende Gelände umfasst. Von 1993 bis 2000 wurde die Unternehmung in Zusammenarbeit mit der University of California Los Angeles (UCLA) durchgeführt. Seit 2001 wird das oberhalb von K93.11/K93.12 gelegene koptische Pauloskloster (Deir el-Bachit) archäologisch untersucht, dessen Wirtschaftsanlagen (Getreidespeicher und eine Bäckerei) sich außerhalb der Klostermauern in den Vorhöfen der Doppelgrabanlage befanden. Diese Arbeiten erfolgten von 2001 bis 2014 in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München, von 2013 bis 2015 mit dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz und werden seit 2015 gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien fortgesetzt.

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Dra’ Abu el-Naga, Blick auf das Areal H mit der Pfeilerfassade des Grabes TT 232 und der Pyramide des Königs Nub-Cheper-Ra Intef © DAI Kairo // D. Polz
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, Pfeilerfassade des Grabes TT 232 © DAI Kairo // D. Polz
3D-Rekonstruktion der Pyramide des Königs Nubcheperre Intef
3D-Rekonstruktion der Pyramide des Nubcheperre Intef © DAI Kairo // M. Maschke
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, Blick über den Vorhof des Grabes TT 232 mit dem eingetieften Hof von Grab K13.6 © DAI Kairo // D. Polz
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H. Die Überreste der Lehmziegelpyramide des Königs Nub-Cheper-Ra Intef nach Konservierungsarbeiten. © DAI Kairo // D. Polz
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, Pfeilerfassaden der Gräber K01.4 und K10.1 © DAI Kairo // F. Barthel
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, Gräber K10.5 und K11.1 © DAI Kairo // U. Rummel
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, Sandalenpaar aus Pflanzenfasern in Fundlage vor Grab K11.1, 18. Dynastie © DAI Kairo // U. Rummel
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Dra’ Abu el-Naga, Ausschnitt des Areals H mit der Pyramide des Königs Nub-Cheper-Re Intef, dem großen Saff-Grab TT 232 und umliegenden Grabanlagen © DAI Kairo // Zeichnung/Planerstellung Chr. Ruppert, G. Heindl, C. Gmeiner
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Dra’ Abu el-Naga, Areal H, verstürzter Türpfosten aus Sandstein zwischen den Gräbern K10.5 und K11.1. Das Bauteil gehört einem „Diener des Amun“, dessen Name verloren ist. © DAI Kairo // U. Rummel